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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten
Autoren: Santa Montefiore
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während sie ihre Korrespondenz erledigte. Italienbegeistert wie sie war, hatte sie ihre Terrasse mit schweren Terrakottatöpfen voller Rosmarin und Lavendel geschmückt und Wein im Wintergarten gepflanzt, den sie darauf trimmte, an den Fenstersprossen nach oben zu ranken, sodass die Trauben in staubigen Büscheln von der Decke hingen.
    Von ihren Nachfahren wurde wenig geändert und vieles erweitert. Deren eigenes Flair war in die Schönheit des Anwesens eingeflossen, bis die Familie durch unglückliche Umstände genötigt war, ihren Besitz in den frühen 1990ern zu verkaufen. Das Polzanze wurde in ein Hotel verwandelt, was Alice zweifellos das Herz gebrochen hätte, wäre sie noch am Leben gewesen. Dennoch blieb ihr Vermächtnis, genauso wie die Originaltapeten mit handgemalten Vögeln und Schmetterlingen.
    Die Zeder an der Ostseite, die jenen Hausteil schützte, war angeblich fünfhundert Jahre alt. Und das Anwesen durfte sich ummauerter Gemüsegärten rühmen, die schon lange vor der Duchess mit ihrem gezüchteten Rhabarber und ihren Himbeeren da gewesen waren. Übrigens auch eines uralten Gärtners, der schon länger dort arbeitete, als es irgendwer erinnerte.
    Marina hörte einen Wagen auf dem Kies draußen und eilte zum Fenster im ersten Stock. Sie erblickte einen schmutzigen alten Morris Minor, vollgestopft mit Leinwänden und farbbefleckten Tüchern, der wie ein erschöpfter Muli vor dem Hotel hielt. Ihr Herz pochte schneller vor Aufregung, und sie guckte rasch in den Spiegel auf dem Treppenabsatz. Mit Anfang fünfzig stand sie in der Blüte ihrer Schönheit, als wäre die Zeit extraleichtfüßig über ihr Gesicht hinweggetänzelt, um ja keine zu starken Spuren zu hinterlassen. Ihr dichtes honigbraunes Haar fiel ihr in großen Wellen über die Schultern, und ihre tief liegenden, einnehmenden Augen waren von der Farbe verrauchten Quarzes. Sie war zierlich mit zarten Knochen und einer schmalen Taille, besaß jedoch breite Hüften und einen großen Busen. Nachdem sie ihr Kleid glatt gestrichen und ihr Haar aufgeplustert hatte, lief sie in der Hoffnung nach unten, einen guten Eindruck zu machen.
    »Marina, Schatz, ich glaube, dein erster potenzieller Hauskünstler ist eingetroffen«, rief ihr Mann. Grey Turner sah aus dem Fenster und kicherte, als er einen älteren Mann in einer langen Brokatjacke und schwarzen Kniebundhosen aus dem Morris steigen sah. Die großen Messingschnallen an den abgewetzten Schuhen blinkten in der schwachen Frühlingssonne.
    »Gütiger Himmel, es ist Captain Hook!«, bemerkte Clementine, Greys dreiundzwanzigjährige Tochter, die sich zu ihm gesellte. Sie rümpfte verächtlich die Nase. »Wieso Submarine jeden Sommer einen Maler einlädt, der sich bei uns durchschnorrt, ist mir schleierhaft. Einen Hauskünstler zu haben, ist total affig.«
    Grey ignorierte den despektierlichen Spitznamen, den seine Kinder für ihre Stiefmutter verwandten. »Marina hat einen guten Riecher fürs Geschäftliche«, sagte er. »Paul Lockwood war letztes Jahr ein Riesenerfolg. Unsere Gäste haben ihn geliebt. Da ist es nur verständlich, dass sie das wiederholen will.«
    »Vielleicht ändert sie ihre Meinung, wenn sie diesen abgetakelten Typen sieht.«
    »Meinst du, er hat einen Papagei in diesem Haufen Gepäck?« Grey beobachtete, wie der alte Mann steifbeinig zum Kofferraum ging und eine schäbige Zeichenmappe herausnahm.
    »Unbedingt, Dad. Und er hat ein Schiff unten am Hafen vor Anker liegen. Wenigstens hat er noch zwei Hände, nicht eine und einen Haken.«
    »Marina wird entzückt sein. Sie liebt ausgefallene Typen.«
    »Glaubst du, dass sie dich deshalb geheiratet hat?«
    Grey machte sich gerade und steckte die Hände in die Taschen. Er war sehr groß, hatte lockiges graues Haar und ein längliches Gesicht, das stets verständnisvoll wirkte. Nun blickte er kopfschüttelnd auf seine Tochter herab. »Vergiss nicht, dass du meine Gene trägst, Clemmie. Falls ich exzentrisch bin, stehen die Chancen recht gut, dass du diesen Makel geerbt hast.«
    »Ich würde es nicht als Makel bezeichnen, Dad. Nichts ist langweiliger, als normal zu sein. Trotzdem«, ergänzte sie, als der Künstler seine Kofferraumklappe zuschlug, »kann es auch zu viel des Guten sein.«
    »Er ist da! Wie aufregend!« Marina kam zu ihrem Mann und ihrer Stieftochter ans Fenster gelaufen. Clementine sah, wie ihre Aufregung verpuffte, als sie ihren ersten Kandidaten erblickte, der mit der Zeichenmappe unter den mottenzerfressenen Ärmel geklemmt
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