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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten
Autoren: Santa Montefiore
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das kleine Mädchen konnte die süßen Gartendüfte riechen, die in der Hitze aufstiegen und die Luft aromatisierten. Das Mädchen trug Sandalen und ein schmutziges Sommerkleid. Das lange braune Haar war matt von Staub und Salzwasser, hing der Kleinen über den Rücken und ins Gesicht, das dunkel, ängstlich und voller Sehnsucht war. An ihrem Hals baumelte eine Kette mit einem Bild der Jungfrau Maria, die ihre Mutter ihr schenkte, bevor sie mit einem Mann davonlief, den sie am Tomatenstand auf der Piazza Laconda kennenlernte. Den jüngeren Bruder des Mädchens nahmen sie mit.
    Das kleine Mädchen kam oft zur Villa La Magdalena. Es kletterte gerne auf jenes Stück Mauer, wo einige der oberen Steine weggebrochen waren, sodass es niedriger war als der Rest. Dort hockte es und sah in den schönen Garten mit den steinernen Springbrunnen, den hübschen Pinien und den Marmorstatuen von vornehmen Damen und halb nackten Männern in theatralischen Posen der Liebe und der Sehnsucht. Das Mädchen malte sich gerne aus, es würde in all dieser Pracht leben – eine junge Dame mit teuren Kleidern, glänzenden Schuhen, geliebt von einer Mutter, die ihm Bänder ins Haar flocht, und einem Vater, der es mit Geschenken überhäufte und es in die Luft warf, um es sogleich in seinen starken, schützenden Armen aufzufangen. Es kam her, um den betrunkenen Vater und die kleine Wohnung in der Via Roma zu vergessen, die sauber zu halten es sich vergebens abmühte.
    Die kleinen Hände umfassten die Gitterstäbe, und das Mädchen steckte sein Gesicht hindurch, um den Jungen besser zu sehen, der in Begleitung eines Mischlingshundes auf das Tor zukam. Sicher würde er sagen, sie solle weggehen, und bevor sie den Weg hinunter zum Strand zurücklief, wollte sie ihn wenigstens richtig gesehen haben.
    Der Junge sah gut aus, viel älter als sie. Sein helles Haar war aus der Stirn gekämmt, und sein Gesicht wirkte freundlich. Er musterte sie mit seinen hellen, lächelnden Augen, und bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass seine Augen grün waren. Sie blieb stehen, nahm sich vor, es bis zum allerletzten Moment auszukosten. Trotzig biss sie die Zähne zusammen, doch sein Grinsen entwaffnete sie. So guckte niemand, der jemanden verscheuchen wollte.
    Er steckte die Hände in seine Taschen und betrachtete sie durch die Pforte.
    »Hallo.«
    Sie schwieg. Ihr Kopf befahl ihr zu fliehen, doch ihre Beine wollten nicht gehorchen. Sie starrte ihn an, unfähig, den Blick von ihm abzuwenden.
    »Möchtest du reinkommen?« Seine Einladung überraschte sie und machte sie misstrauisch. »Du bist offensichtlich neugierig.«
    »Ich bin bloß hier vorbeigekommen«, erwiderte sie.
    »Ah, du kannst also doch sprechen.«
    »Natürlich kann ich sprechen.«
    »Tja, ich war mir nicht sicher. Du hast so ängstlich geguckt.«
    »Ich habe keine Angst vor dir, falls du das meinst.«
    »Schön.«
    »Ich war nur auf dem Weg wohin.«
    »Komisch, hier geht’s eigentlich nirgends hin. Wir wohnen ziemlich abgelegen.«
    »Weiß ich. Ich war am Strand.« Wenigstens das stimmte.
    »Und da bist du zufällig hier heraufgewandert, um mal zu gucken?«
    »Es ist ein hübsches Haus, und das wollte ich mir ansehen.« Ihr Gesicht erhellte sich gleich, und sie blickte sehnsüchtig zur Einfahrt.
    »Dann komm rein. Ich zeige dir den Garten. Meine Familie ist nicht hier. Ich bin allein, und es ist netter, wenn man jemanden zum Reden hat.«
    »Ich weiß nicht …« Ihre Miene verfinsterte sich wieder, doch er öffnete bereits das Tor.
    »Hab keine Angst. Ich tue dir nichts.«
    »Ich hab keine Angst! Ich kann nämlich gut auf mich selbst aufpassen.«
    »Ja, das glaube ich dir.«
    Sie ging durch die Pforte. Während sie beobachtete, wie er das Tor hinter ihr abschloss, wurde ihr für einen Moment doch mulmig, aber dann fiel ihr Blick wieder auf die Villa, und sie vergaß ihre Furcht. »Wohnst du hier?«
    »Nicht immer. Meistens wohne ich in Mailand, aber wir kommen jeden Sommer her.«
    »Dann habe ich dich schon mal gesehen.«
    »Ach ja?«
    Ihre Aufregung machte sie kühner. »Ja, ich gucke heimlich über die Mauer.«
    »Du kleiner Teufel.«
    »Ich sehe mir nur gerne den Garten an. Die Leute interessieren mich nicht so.«
    »Dann ist es ja umso besser, dir den Garten einmal richtig zu zeigen, damit du nicht mehr spionieren musst.«
    Sie ging neben ihm her. Ihr quoll das Herz fast über vor Freude. »Gehört das wirklich alles dir?«
    »Na ja, meinem Vater.«
    »Wenn dies euer Sommerhaus ist, muss euer
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