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Der Zweite Messias

Titel: Der Zweite Messias
Autoren: Glenn Meade
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Nacht, hier in dieser Kapelle, unter Michelangelos Vision der Schöpfung, die beängstigenden Bilder der Apokalypse vor Augen. Doch ich kann euch versichern, dass es sich keineswegs um eine Bedrohung handelt. Vielmehr glaube ich, in Jesu Christi Sinn zu handeln, indem ich etwas tun werde, das für die Kirche unverzichtbar ist. Ich habe gelobt, dass von nun an absolute Offenheit und Ehrlichkeit herrschen sollen. Es soll keine Lügen mehr geben, keine Geheimnisse, die den Gläubigen und der Welt vorenthalten werden. Die Kirche gehört uns allen und nicht nur denen, die im Vatikan die Macht besitzen.«
    Die Kardinäle wechselten ungläubige Blicke.
    »Und was genau schlagen Sie vor?«, fragte ein älterer Kardinal unter Missachtung des Protokolls. »Dass wir die Türen des Vatikans öffnen, damit die Öffentlichkeit zu allen Bereichen Zugang erhält?«
    »Das ist eine meiner Absichten«, antwortete Becket mit fester Stimme. »Nichts wird mehr verborgen bleiben. Selbst die dunkelsten Geheimnisse, die in unseren Archiven versteckt sind, sollen öffentlich gemacht werden.«
    Ein Raunen ging durch die Menge; es dauerte lange, bis wieder Stille einkehrte. Cassini, der vor Becket stand, hatte das Gefühl, der Boden unter seinen Füßen würde schwanken. So etwas hatte es in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben.
    »Und die Finanzen des Vatikans?«, fragte ein anderer Kardinal.
    »Auch sie werden öffentlich gemacht«, antwortete Becket mit zunehmend fester, entschiedener Stimme. »Wollte Christus, dass Lügen erzählt werden? Wollte er, dass Geheimnisse bewahrt werden? Wollte er, dass wir, die höchsten Würdenträger der römisch-katholischen Kirche, uns wie kleinliche Bürokraten aufführen? Das kann ich nicht glauben. Christus hat vor allem an die Wahrheit geglaubt, und darin sollten wir ihm nacheifern.«
    Ein anderer älterer Kardinal meldete sich vorsichtig zu Wort. »Aber es gibt gewisse Dinge, die so schrecklich sind, dass die Welt sie nicht erfahren sollte.«
    Becket schaute den Sprecher an, doch seine Antwort war an alle Anwesenden gerichtet. »Sie meinen, es gibt gewisse Dinge, die der Vatikan der Welt lieber vorenthalten sollte? Dinge, die er mit Absicht geheim gehalten hat? Schlimme Fehler, die begangen wurden und die kein Gläubiger jemals erfahren sollte? Nein, die Gläubigen müssen es endlich wissen. Nicht nur die Katholiken, sondern alle Christen. Überall auf der Welt verfolgen Christen, gleich welcher Konfession, dieselben Ziele und dienen einer gemeinsamen Sache, also haben sie alle das Recht, die dunklen Geheimnisse zu erfahren, die im Namen Christi verschlossen gehalten wurden.«
    Becket ließ den Blick über seine Zuhörer schweifen und breitete die Arme aus, als wollte er einen Segen erteilen. »Wir verlangen von den Gläubigen, die Fehler und Sünden zu beichten, die sie begangen haben. Wir selbst aber weigern uns, unsere eigenen Sünden offenzulegen. Hätte Gott das gewollt? Ihr habt mich gewählt, liebe Brüder, und wenn ich das Pontifikat annehme, wird dies einen Neubeginn markieren, der uns alle auf den Weg Jesu Christi zurückführen wird. Ich danke euch.«
    Einige der älteren Kardinäle sahen dermaßen schockiert aus, als hätte nicht der Papst, sondern der Teufel persönlich in ihrer Mitte gesprochen. Die Meisten aber waren tief bewegt, denn es schien, als wehte plötzlich ein frischer Wind durch die muffigen Korridore des Vatikans. Hier sprach ein Mann, der Charisma und Autorität ausstrahlte.
    Umberto Cassini spürte Angst in sich aufsteigen. Er schaute zu John Becket, der wieder den Blick über die Anwesenden schweifen ließ.
    »Habt ihr denn keinen Mut mehr?«, fuhr Becket fort, und seine blauen Augen funkelten. »Der Herr hat uns unsere Last auferlegt, doch er wird uns auch die Kraft geben, sie zu tragen. Ich nehme meine Ernennung an. Ego recipio in nomine veritatis. Ich nehme sie an im Namen der Wahrheit. Und der Name, den ich wähle, ist Coelestin.«
3.
    I SRAEL,
DREISSIG K ILOMETER ÖSTLICH VON J ERUSALEM,
IN DER N ÄHE DES T OTEN M EERES
    Die Alten glaubten, dass die Seelen der Toten in der Nähe ihrer Gräber verweilen. Jack Cane wollte ebenfalls daran glauben, als er zur Grabstätte fuhr.
    Der Toyota Land Cruiser holperte über den unebenen Boden. Am Ende des Pfades bremste Cane, stellte den Motor ab, zog die Handbremse an und stieg aus.
    Das Grab lag am Fuße eines Berges neben einer Straßenkurve, sechs Kilometer vom Toten Meer entfernt. Die Ruhestätte war mit einer sauberen
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