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Der Zweite Messias

Titel: Der Zweite Messias
Autoren: Glenn Meade
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dem Kelch saßen, die Wahlzettel überprüft und die Stimmen ausgezählt hatten.
    Während die Minuten quälend langsam verstrichen, befingerte Cassini nervös das Kreuz an seiner Brust. Dann endlich beendeten die Helfer die Stimmenauszählung. Einer von ihnen kam mit einem Blatt, auf dem das Ergebnis stand, zu Cassini.
    Mit einer Mischung aus Furcht und gespannter Erwartung faltete Cassini das Blatt auseinander. Fassungslos las er das Ergebnis:
    Kardinal John Becket – 81 Stimmen.
    Es war unfassbar. Becket hatte nicht nur für einen gänzlich anderen Ausgang der Wahl gesorgt, er hatte die Wahl gewonnen.
    Obwohl Cassini mit einem solchen Ausgang niemals gerechnet hätte, war er zutiefst erleichtert. Er spürte, wie die Schmerzen in seiner Brust nachließen.
    Als die Stimmenzahlen der anderen Kandidaten verlesen wurden, schien es niemanden mehr zu interessieren. Die Anspannung in der Sixtinischen Kapelle hatte sich gelöst. Alle Blicke waren nun auf John Becket gerichtet, der regungslos auf seinem Platz saß und wie ein Mann wirkte, der ringsum Gefahren witterte und keine Möglichkeit zur Flucht sah. Er hatte die Augen geschlossen; es schien, als würde er ein stummes Gebet sprechen.
    Umberto Cassini erhob sich.
    In Begleitung des päpstlichen Zeremonienmeisters und der drei Wahlhelfer trat er auf Becket zu. Wie die Tradition es verlangte, stellte er auf Latein jene Frage, die der gewählte Papst beantworten musste: »Nehmen Sie, hochwürdiger Kardinal, die vorschriftsmäßig durchgeführte Wahl zum Papst an?«
    Becket schwieg und hielt die Augen geschlossen. Cassini wiederholte seine Frage, doch der Amerikaner antwortete immer noch nicht. Cassini spürte, wie sich unter den Kardinälen Verwirrung ausbreitete. Dann endlich öffnete Becket langsam die Augen und erhob sich. Auf seiner Oberlippe schimmerten Schweißperlen.
    »Camerlengo«, sagte er, »der Glaube und das Vertrauen, das meine Brüder in mich setzen, bewegen mich zutiefst. Worte können nicht ausdrücken, was ich empfinde. Dieses Ergebnis ist eine große Überraschung für mich. Doch ich werde mich der Verantwortung nicht entziehen, denn ich vertraue auf die Hilfedes Herrn.« Becket verstummte kurz und atmete tief durch. »Ich nehme die Wahl an in dem Wissen …« Wieder stockte er. Vor Rührung traten ihm Tränen in die Augen. »Vergebt mir, doch ehe ich fortfahre und einen päpstlichen Namen wähle, muss ich euch etwas Bedeutsames mitteilen … etwas Vertrauliches, das ich bis jetzt noch niemandem erzählt habe. Ich trage dieses Geheimnis seit langer Zeit in mir. Nun ist die Zeit gekommen, es der Welt zu enthüllen.«
    Beckets unerwartete Worte sorgten für neuerliche angespannte Stille. Alle Anwesenden schwiegen, als erwarteten sie irgendeine schreckliche Offenbarung. Cassinis hektischer Blick huschte über die verwirrten Gesichter der Kardinäle und glitt dann zur Wanduhr, die kurz vor Mitternacht anzeigte. Dann schaute er wieder auf Becket und raunte ihm in vertraulichem Tonfall zu: »Mit Verlaub, John, die Vorschriften sind eindeutig. Die Annahme Ihrer Wahl muss so erfolgen, wie das Protokoll es vorschreibt.«
    »Ich kenne die Vorschriften, Camerlengo. Doch zuerst muss ich verkünden, was ich zu sagen habe. Und ich fürchte, dass einige unserer Brüder sich wünschen werden, mich nicht zum neuen Papst gewählt zu haben, wenn ich fertig bin.«
    »Und was möchten Sie uns berichten?«, fragte Cassini, in dessen Brust nun wieder der beängstigende Schmerz wühlte.
    Becket schwieg kurz; dann ließ er den Blick über die Versammlung schweifen und begann: »Vor langer Zeit, als ich noch Priester war, habe ich gelobt, alles zu tun, um gewisse persönliche Ziele zu erreichen, sollte ich jemals zum Papst gewählt werden.«
    Alle Blicke waren auf Becket gerichtet. Dass er Amerikaner war, in Chicago geboren und aufgewachsen, merkte man nur, wenn er redete. Er sprach fließend Italienisch; dennoch war sein amerikanischer Akzent so unverkennbar wie der Stempel eines Visums.
    »Die Kirche ist ein Fels«, fuhr er fort, »und dieser Fels istunverrückbar. Doch ich habe gelobt, eine neue Ära der Ehrlichkeit und Wahrheit in der Kirche anzustreben. Ich habe gelobt, dass mein Pontifikat einen Neubeginn darstellen soll, der eurer Hilfe und eurer Unterstützung bedarf, sollte ich jemals zum Papst gewählt werden.«
    In der Sixtinischen Kapelle herrschte völlige Stille.
    »Ich bin sicher, einige von euch werden meine Vorschläge als Bedrohung betrachten, zumal heute
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