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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels
Autoren: Rachel Hore
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mich hungrig und elend. Als ich, noch immer im Pyjama, ungefähr fünf Zentimeter Fett von Dads Grillpfanne kratzte, die ich bei meinem Großreinemachen gestern offenbar übersehen hatte, klingelte das Telefon. Es war das Krankenhaus. Dad sei in der Nacht kurz wach geworden, berichtete eine Krankenschwester. Ich war ungeheuer erleichtert. Er würde wieder gesund werden. Alles würde gut!
    Hastig aß ich einen Bissen Toast, schlüpfte in Jeans und Jacke und machte mich auf den Weg. Als ich die Horseferry Road hinablief, begegneten mir ein paar frühmorgendliche Jogger und ein Trupp Müllarbeiter. Eine dicke Inderin fegte mit langsamen Bewegungen den Gehweg vor einem Blumenladen. Spontan bat ich sie, mir ein paar Freesien einzupacken. Vielleicht würde Dad sich ja über den Duft freuen, auch wenn er die Farben nicht wahrnehmen konnte.
    Auf der Lambeth Bridge wehte mir ein kräftiger Wind vom Fluss entgegen, der meinen Optimismus gehörig dämpfte. Ein Gefühl der Angst machte sich in mir breit.
    Als ich in Dads Krankenzimmer kam, sah ich, dass die Vorhänge um sein Bett herum zugezogen waren. Aus meiner Angst wurde Panik. Hoffentlich hatte er keinen Rückfall erlitten. Als eine Schwester mit einer Schüssel Seifenlauge und einem Handtuch erschien und lächelte, legte sich meine Panik wieder. Doch ich war voreilig. Im nächsten Moment erkannte ich, dass längst nicht alles gut war.
    Dad sah genauso aus wie am Tag zuvor. Er hatte die Augen geschlossen, den Mund geöffnet und schnarchte leise. Ich zog den Stuhl heran und suchte nach Anzeichen für irgendeine Veränderung. Hatte er mehr Farbe im Gesicht? Möglich. Auf einmal öffnete er die Augen einen Spalt breit und blinzelte ins Licht.
    »Dad«, flüsterte ich und setzte mich genau so, dass er mich praktisch direkt anschauen musste. Er schien verwirrt zu sein, sein Mund zuckte leicht, als versuchte er zu sprechen.
    »Schsch«, sagte ich hilflos. Weil seine linke Hand, die mir am nächsten war, ein bisschen zitterte, legte ich meine Hand ganz vorsichtig auf seine. Wir schauten einander an; und er hatte den unschuldigen Blick eines kleinen Kindes an sich. Ich wandte mich zuerst ab, wollte die Tränen in meinen Augen verbergen.
    Etwas Positives gab es immerhin. Er hatte mich erkannt, das wusste ich ganz genau. Er war noch derselbe, trotz meiner Befürchtungen. Und doch beschlich mich das Gefühl, dass er mich inständig um etwas bitten wollte, wie ein Tier, das gefangen war.
    »Dad, alles ist gut. Ich bin bei dir.« Beruhigend redete ich auf ihn ein. »Ich kümmere mich um den Laden, mach dir keine Sorgen. Zac wird mir sicher helfen.« Dabei hatte ich seit meiner Rückkehr noch keinen Ton von Zac gehört.
    Ich blieb, bis Dad wieder eingeschlafen war. Mein Rückweg vom Krankenhaus dauerte doppelt so lange, weil ich auf der Lambeth Bridge herumtrödelte, in das graue Wasser unter mir starrte und froh war, dass der beißend kalte Wind meinen seelischen Schmerz betäubte. Auch in mir stieg eine Flut, die mich forttrug … aber wohin? Ich hatte keine Ahnung. Mein Leben war hoffnungslos ins Trudeln geraten.
    Als ich in den Laden kam, stand Zac in der Werkstatt und schnitt ein Stück leuchtend rotes Glas zurecht. Er schaute auf, als ich hereinkam, den schmalen Körper gebeugt, den Glasschneider einsatzbereit in der Hand. Ich blieb in der Tür stehen, als ich spürte, dass die alte Unbeholfenheit zwischen uns sofort wieder da war, wie ein undurchdringlicher Nebel.
    »Hallo, Fremde«, murmelte er schließlich und lächelte mühsam. »Wie sieht’s aus?«
    »Ich war gerade bei Dad«, antwortete ich so fest wie möglich. Zac legte das Messer aus der Hand und musterte mich. Zerstreut rieb er sich eine Schwiele am Zeigefinger.
    »Wie geht es ihm?«, fragte er. Seine Stimme klang so heiser, als hätte er seit ein paar Tagen nicht mehr gesprochen. Was mich nicht überrascht hätte. Ich hatte nie viel über Dads Mitarbeiter in Erfahrung bringen können. Er arbeitete für Dad, seit ich vor zwölf Jahren das Haus verlassen hatte. Damals war er Anfang zwanzig gewesen, ein dünner, blasser Mann mit dunklen Augen, dichten schwarzen Haaren, Glasgower Akzent und jener typisch keltischen, geheimnisvollen Aura. Er war sehr verschlossen. Heute, zwölf Jahre später, war er ein wenig rundlicher geworden und sein Akzent nicht mehr so ausgeprägt, aber ansonsten war er unverändert – wie Minster Glass .
    Die ungewöhnlichen Arbeitszeiten, die Dad verlangte, schienen Zac nie gestört zu haben. Es
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