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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels
Autoren: Rachel Hore
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London, der Königliche Orden der Griffins, die Bookbinders Gazette . Vermutlich war auch Minster Glass so eine Seltsamkeit. Aber ich liebte sie alle.
    Ein Geschäft für viktorianische Glaskunst mit tiefen Erkerfenstern und einem gefliesten, herrlich altertümlichen Eingang entsprach sicher nicht der gängigen Vorstellung eines gemütlichen Heims. Dad und ich hatten in der Wohnung über dem Laden gehaust – treffender konnte man unsere chaotischen Wohnverhältnisse wirklich nicht beschreiben. Ein Wohnzimmer, eine große Küche, drei Schlafräume und ein riesiger Dachboden hätten für uns beide eigentlich ausreichen müssen, aber jede Ecke und jede Nische war mit irgendwelchem Gerümpel vollgestellt: Bücher, Kisten, Aktenordner, die die gesamte Geschichte von Minster Glass ausmachten.
    Die Tür, die in die Wohnung hinaufführte, erreichte man von der kleinen Werkstatt hinter dem Ladenlokal. Ich erinnerte mich noch gut, wie ich an düsteren Wintermorgen die nackte Holztreppe hinunterging, durch die eiskalte Werkstatt mit den dunklen Ecken und dem beißenden Geruch, in ständiger Angst, etwas kaputt zu machen und mir Dads Zorn zuzuziehen, um meine Freundin Jo zu treffen und mit ihr zusammen zur Schule zu gehen. Jos Familie wohnte in einem Stadthaus ganz in der Nähe, ihr Vater war ein erfolgreicher Rechtsanwalt in der City.
    Draußen auf dem Gehweg blieb ich immer kurz stehen und warf einen Blick auf das Ladenlokal, weil es so schön war. Ich liebte das wechselnde farbige Licht, vor allem wenn die Sonne durchs Fenster schien und rubinrote, smaragdgrüne und saphirblaue Muster auf den Holzfußboden malte, sodass es wie ein geweihter Ort aussah.
    Die stille Schönheit beruhigte mich auch jetzt, als ich den Schlüssel umdrehte, die Klinke herunterdrückte und eintrat. Das Glöckchen bimmelte traurig über meinem Kopf. Einen Moment lang blieb ich stehen, atmete die vertrauten Gerüche ein, den Moder des alten Holzes, den Hauch irgendeiner Chemikalie. Einen flüchtigen Augenblick fühlte ich mich wieder wie das kleine Mädchen, das früher in den staubigen Strahlen des bunten Lichts getanzt hatte.
    Etwas erregte meine Aufmerksamkeit – ein praller weißer Briefumschlag, der auf der Fußmatte lag. Ich hob ihn auf und registrierte ein Wappen, das auf der Rückseite eingeprägt war. Der Brief war an Dad adressiert, daher legte ich ihn ungeöffnet auf die Verkaufstheke.
    Das Letzte, wonach mir jetzt der Sinn stand, war irgendein nervender Kunde. Daher schloss ich ab, zerrte mein Gepäck durch den Laden, öffnete die Tür hinter der Theke und betrat die Werkstatt.
    Während das Ladenlokal immer warm und einladend war wie eine Kirche, war die Werkstatt so kühl wie die dazugehörende Krypta. Ich schaltete die Deckenlampen ein und blinzelte kurz in das gleißend helle Licht. Scherben knirschten unter meinen Füßen, als ich über den Betonfußboden lief.
    Durch das rechteckige Fenster schaute ich in den rumpeligen Hinterhof mit der Garage, die man über eine Einfahrt rechts vom Laden erreichen konnte. Auf der Arbeitsfläche neben mir lag ein bleiverglastes Fenster, bereits teilweise verlötet. Sicher hatte Dad daran gearbeitet, als es passierte. Zac hatte erzählt, er hätte in dem winzigen Büro gesessen, als er Dad stöhnen und Sekunden später einen Stuhl polternd zu Boden krachen gehört hatte.
    Traurig blickte ich nun auf den Stuhl. Mit dem Finger fuhr ich über das keltische Flechtmuster, das Dad gemacht hatte und das er besonders gern zur Umrandung oder zum Füllen von kleinen Flächen benutzte und manchmal sogar als seine Künstlersignatur. Er mochte es deshalb so, wie er immer sagte, weil er es in einer einzigen ununterbrochenen Linie zeichnen konnte. Unter der Arbeitsfläche stieß ich mit dem Fuß an irgendetwas, das daraufhin wegzurollen begann. Ich bückte mich. Es war die Spitze eines zerbrochenen Lötkolbens. Das restliche Teil lag auch dort unten. Zac schien es aus der Steckdose gezogen und in der Hektik einfach liegen gelassen zu haben. Ich hob die Einzelteile auf und betrachtete sie. Dabei bemerkte ich noch etwas anderes, etwas Glitzerndes, zwischen den Staubflocken unter der Werkbank. Ich streckte die Hand danach aus.
    Es war eine kleine goldene Brosche in Form eines Engels, mit funkelnden blauen Steinchen. Sehr hübsch und vielleicht auch wertvoll. Ich hatte die Brosche noch nie zuvor gesehen und nicht die leiseste Ahnung, woher sie stammen könnte. Ich legte sie auf die Werkbank neben die Teile des
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