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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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marschieren und die Straßenschilder sich selbst neu formieren, um Mater Viaes wahren Namen zu bilden: den Tag, an dem ihre Göttin zurückkehrt.
    Ächzend entweicht Luft seinem Reifen, sodass er neben mir niedersinkt. Er schlägt das schwarze Plastik seines Mantels zurück und wählt eine der Spritzen aus, die an der Innenseite festgeschnallt sind. Offenbar hat er mal wieder Krankenhauscontainer durchforstet. Er schiebt die Nadel in meinen Arm, drückt den Kolben und fast augenblicklich ebbt der Schmerz ab.
    »Was für ’n Wrack«, knurrt er abermals. »Setz dich hin. Werfen wir einen Blick auf den Schaden.«
    Knirschend wuchte ich mich Stück für Stück in eine Art muschelförmige Buckelhaltung, was das Beste ist, zu dem ich in der Lage bin. Fein säuberliche Kreuznähte halten meine Schnittwunden zusammen; die Nadel, die sie gemacht hat, steckt inzwischen wieder in Glas’ Arm, der Garnrest pendelt sachte im Wind.
    »Wow«, krächze ich und betaste die Nähte, »ich muss echt weggetreten gewesen sein, dass ich davon nichts gespürt hab.«
    »Tot für die Welt«, nickte Gossenglas. »Nicht buchstäblich allerdings, was zu einem nicht grade geringen Teil meiner Wenigkeit und zu überhaupt gar keinem Teil dir zu verdanken ist.«
    Ich muss meinen Speer als Krücke benutzen, um aufzustehen. Noch immer spüre ich das elektrische Sirren des Eisens, dort, wo ich die Waffe in den Geist gerammt habe. Glas klopft mir den Staub ab, wischt mir mit rissigen Stiftkappenfingern über die Wange. Er ist seltsam pingelig – ich vermute, weil er sich jeden Tag selbst einen neuen Körper aus dem Abfall der Stadt basteln muss, weiß er, wo all das Zeug vorher gewesen ist.
    »Ich war auf der Jagd – «, fange ich an, ihm von letzter Nacht zu erzählen, doch er hört gar nicht zu.
    »Sieh dich nur an, du bist dreckig – «
    »Glas, dieser Gleisgeist – «
    »Von der ganzen Näherei sind meine Finger völlig kaputt «, stöhnt er. »Hast du wirklich gar kein Herz für ’n armes altes Müllgesp–«
    »Glas!«, belle ich etwas heftiger, als ich es meine, und er schreckt zurück und verstummt, starrt mich vorwurfsvoll an. Ich atme scharf aus, dann sag ich es einfach. »Der Geist hat sich von den Gleisen gelöst. Er hat sich befreit.«
    Eine Weile lang ist nichts zu hören als das leise Getrappel der Brise auf dem Wasserspiegel des Flusses. Als Glas endlich spricht, klingt seine Stimme entschieden. »Das ist nicht möglich.«
    »Glas, ich sag dir doch – «
    »Nicht möglich«, beharrt er. »Ein Gleisgeist ist Elektrizität: ihre Erinnerungen, ihre Träume. Die Gleise sind seine Leiter. Getrennt von ihnen kann er nicht länger als ein paar Minuten überleben.«
    »Nun, dann lass dir vom Sohn einer Göttin, dessen knochigen Arsch er drei Meilen von den nächsten Schienen entfernt um den Block gekickt hat, gesagt sein: Der hier kann! « Mein Schrei hallt von den Brückenpfeilern wider. Ich hocke mich hin, versuche mir mit den Fingerspitzen die Anspannung aus den Schläfen zu massieren.
    »Glas, das Ding war so stark«, sage ich leise. Die Erinnerung an die grellweiße Spannung seiner Zähne ist mir in die Haut gebrannt. Ich zittere. »Ich hab ihn verwundet, aber – er muss mich für tot gehalten haben. Ein Geist wie dieser ist mir noch nie begegnet. Er hat nicht mal versucht zu entkommen, sondern mich sofort angegriffen …«
    »… so als wär er es, der dich jagt?« fragt Glas, und ich hebe abrupt den Blick.
    Denn genau so ist es gewesen.
    Gossenglas’ Stimme ist jetzt sehr ruhig. All die Ratten und Würmer und Ameisen, die ihm Leben einhauchen, werden ganz still, und für einen Augenblick wirkt er wie tot. »Filius«, sagt er leise. Und er klingt nicht mehr verwirrt. Er klingt sehr, sehr verängstigt. »Hat irgendjemand gesehen, wie du diesen Geist gejagt hast?«
    »Was? Nein. Wieso?«
    »Filius – «
    »Mich hat niemand gesehen, Glas, ich war einfach bloß auf der Jagd. Ich war – « Dann stocke ich, denn das ist nicht ganz richtig: Jemand hat mich gesehen. Übelkeit verschließt mir den Magen, als ich begreife, wonach er fragt.
    »Das Ding ist quer durch St Paul’s«, wispere ich.
    »Der Gleisgeist hat Reachs Reich betreten«, sagt Glas.
    Ich nicke, während ich die Kälte durch mich hindurchsickern fühle, als würde Raureif sich auf meine Knochen legen.
    »… und ist auf der anderen Seite wieder aufgetaucht«, fährt er fort, und seine Stimme klingt grimmig, »befreit von den Schienen, wütender und mächtiger, als er’s
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