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Der Wohlfahrtskonzern

Der Wohlfahrtskonzern

Titel: Der Wohlfahrtskonzern
Autoren: Frederik Pohl - Lester del Rey
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gelegen hatte, so war es jetzt ungezügelter, wilder Haß. »Ungeheuer! Abschaum!« stieß er schrill hervor. Dann gab er mir blindlings einen Stoß, sprang aus dem Schutz der Gepäckstücke an mir vorbei und wirbelte wild durch die Menschenmenge, rempelte die Männer und Frauen aus seinem Weg.
    Ich hörte jemanden scharf brüllen: »Da läuft er! Zorchi! Zorchi!« Und ich hörte, wie der Bärtige schrille Flüche ausstieß, als er den Bahnsteig hinauflief, dem einfahrenden Zug entgegen, auf die Kante zu – und vom Bahnsteig hinunter auf die Gleise!
    Er fiel ungefähr einen Meter vor die Stromliniennase der Diesellok. Ich glaube nicht, daß der Zug schneller als sieben, acht Kilometer pro Stunde fuhr, aber der Lokomotivführer hatte nicht die geringste Chance, den Zug zum Halten zu bringen. Während ich zusah, wie alle anderen auf dem Bahnsteig zur Bewegungslosigkeit erstarrt, rollte die Maschine über die zusammengekauerte Gestalt weg. Die Bremsen kreischten, aber es war zu spät, viel zu spät. Sogar in diesem Moment dachte ich daran, daß er nicht sterben würde, nicht sofort jedenfalls, erst wenn der Blutverlust zu groß werden würde. Sein Rumpf lag sicher in der Mulde zwischen den Gleisen. Aber seine Beine waren über eine Schiene gestreckt; und das langsame Klick-Klick der Räder hörte erst auf, als sein uniformierter Körper schon lange nicht mehr zu sehen war.
    Es war schockierend, übel, eklig, unglaublich.
    Und es hörte damit noch nicht auf. Etwas Sonderbares geschah: Als sich der Mann dem Zug in den Weg warf, gab es ein plötzliches, erschrockenes Schweigen; es geschah zu schnell, als das irgend jemand auf dem Bahnsteig dazu gekommen wäre, aufzuschreien. Auf das Schweigen folgte ein nur kurzes, instinktives und entsetztes Atemholen. Dann kam ein schnelles, erstauntes Geraune – und dann lautstarker Beifall! Und Klatschen und aufbrandende Bravorufe!
    Ich verstand überhaupt nichts.
    Der Mann hatte sich mit voller Absicht vor den Zug geworfen, da war ich sicher.
    War das etwas, was man beklatschen konnte?
     
    Schließlich schaffte ich es doch dorthin, wo der Regional-Direktor auf mich wartete. Ich war um fast eine Stunde zu spät.
    Es war ein Hotel mit Blick auf die Bucht, und das Bild, das sich mir bot, war so packend, daß ich die Tat des Wahnsinnigen, die ich gesehen hatte, für einen Moment aus meinem Geist verdrängen konnte. Es gab nichts auf der ganzen Welt, was so schön war, wie die Bucht von Neapel bei Sonnenuntergang, dachte ich. Das war nicht nur meine Meinung; ich hatte die vielen Beschreibungen in den Reiseprospekten gesehen, die ich überflogen hatte, während meine Frau mir sanft über die Schulter blickte, damals, zur Zeit unserer Heirat. La prima vista del mondo, hieß es in den Prospekten – der schönste Anblick der Welt. »Neapel sehen und sterben«, hatte der unbekannte Texter geschrieben.
    Ich hatte natürlich nicht gewußt, daß Marianna vorher sterben würde …
    Aber das lag alles hinter mir. Nach Mariannas Tod geschah allerhand und alles innerhalb kurzer Zeit; viel davon war ziemlich schlimm. Aber gut oder schlecht, ich hatte mir eines zur Regel gemacht: Ich wollte nicht darüber brüten. Ich hatte ein neues Leben angefangen, und ich war dabei, die Vergangenheit in einem fest verschlossenen Abteil meines Gehirns zu begraben. Es mußte einfach so sein! Ich war nicht mehr länger ein gewöhnlicher Zivilist, der seine Blauer-Himmel-Prämien zusammenkratzte, um ein Dach über dem Kopf zu haben, seine Nahrungspolicen einteilte, tagaus, tagein seinem öden langweiligen Broterwerb nachging. Ich war ein Diener der menschlichen Rasse und ein Mitglied der letzten überlebenden Gruppe von Gentleman-Abenteurern der ganzen Welt: Ich war »Anspruchsregler des Schadensausgleichs« im Dienst der Gesellschaft!
    Wie auch immer, einige der unangenehmen Dinge, die geschehen waren, als ich in den Speisesaal des Hotels gegangen war, um den Regional-Direkter zu treffen, konnte ich wirklich nicht vergessen …
    Regional-Direkter Gogarty war ein bleicher und aufgeschwemmter Ballon von einem Mann. Er wartete auf mich an einem Tisch, der für vier Personen gedeckt war. Er begrüßte mich mit saurem Gesicht. »Erfreut, Sie kennenzulernen, Wills. Unangenehme Sache, das. Unangenehme Sache. Er hat es wieder mal geschafft.«
    Ich hüstelte. »Sir?« fragte ich.
    »Zorchi!« schnappte er – und ich erinnerte mich an den Namen, den ich auf dem Bahnsteig gehört hatte. Der Verrückte!
    »Zorchi, Luigi
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