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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied
Autoren: Terry Pratchett
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man mehr wusste als sie. Es bedeutete, Richtig und Falsch für verhandelbar zu halten. Und es bedeutete schließlich, dass man »ins Dunkel ging«, wie es bei den Hexen hieß. Das war ein übler Weg. Am Ende dieses Weges befanden sich vergiftete Spinnräder und Lebkuchenhäuser.
    Der Brauch regelmäßiger Besuche beugte dieser Entwicklung vor. Andauernd besuchten Hexen andere Hexen, und manchmal reisten sie ziemlich weit für eine Tasse Tee und ein Rosinenbrötchen. Zum Teil ging es dabei um Tratsch, denn Hexen liebten es zu tratschen, insbesondere dann, wenn es dabei um aufregendere Dinge als nur um die Wahrheit ging. Aber der eigentliche Sinn bestand darin, sich gegenseitig im Auge zu behalten.
    An diesem Tag besuchte Tiffany Oma Wetterwachs, die nach Meinung der meisten Hexen (und auch Omas eigener) die mächtigste Hexe in den Bergen war. Bei diesen Besuchen benahm man sich sehr höflich. Niemand fragte: »Noch keinen Sprung in der Schüssel?« Niemand antwortete: »Natürlich nicht! Bin total klar!« So etwas war gar nicht nötig. Man wusste, worum es ging, und deshalb sprach man über andere Dinge. Doch wenn Oma Wetterwachs verstimmt war, machte sie es einem ziemlich schwer.
    Stumm saß sie in ihrem Schaukelstuhl. Manche Leute können gut reden; Oma Wetterwachs konnte gut schweigen. Sie konnte so still dasitzen, dass sie zu verschwinden schien. Man vergaß, dass sie da war. Der Raum war plötzlich leer.
    Das verunsicherte die Leute. Und das sollte es vermutlich. Aber auch Tiffany hatte das Schweigen gelernt, von Oma Weh, ihrer echten Großmutter. Jetzt lernte sie, dass man fast unsichtbar werden konnte, wenn man sich ganz still verhielt.
    Oma Wetterwachs war eine Spezialistin auf diesem Gebiet.
    Tiffany nannte das insgeheim den Ich-bin-nicht-da-Zauber, falls es wirklich ein Zauber war. Vielleicht, so überlegte sie, hat jeder etwas in sich, das der Welt mitteilt, dass er da ist. Deshalb spürt man manchmal, dass jemand hinter einem steht, obwohl er überhaupt kein Geräusch verursacht hat. Man empfängt sein Ich-bin-da-Signal.
    Bei manchen Leuten war es sehr stark, zum Beispiel bei denen, die in Läden zuerst bedient wurden. Oma Wetterwachs' Ich-bin-da-Signal schallte sogar von den Bergen zurück, wenn sie es darauf anlegte. Sobald sie in einen Wald trat, rannten die Wölfe und Bären auf der anderen Seite hinaus.
    Sie konnte ihr Signal aber auch abschalten.
    Das tat sie jetzt. Tiffany musste sich konzentrieren, um sie zu sehen. Der größte Teil ihres Bewusstseins behauptete, dass Oma Wetterwachs nicht da war.
    Es reicht jetzt, dachte sie und hüstelte. Plötzlich war Oma Wetterwachs schon die ganze Zeit dagewesen. »Fräulein Verrat geht es gut«, sagte Tiffany.
    »Ein gute Frau«, erwiderte Oma. »O ja.«
    »Sie hat komische Angewohnheiten«, sagte Tiffany.
    »Niemand ist vollkommen«, entgegnete Oma Wetterwachs »Sie probiert neue Augen aus«, sagte Tiffany.
    »Gut.«
    »Es sind zwei Raben...«
    »Keine schlechte Idee«, kommentierte Oma Wetterwachs.
    »Besser als die Maus, die sie normalerweise benutzt«, sagte Tiffany.
    »Kann ich mir denken.«
    Es ging noch ein bisschen so weiter, bis sich Tiffany darüber ärgerte, dass sie die Einzige war, die das Gespräch am Laufen hielt. Immerhin gab es so etwas wie gute Manieren. Na schön, sie wusste, was es da zu unternehmen galt.
    »Frau Ohrwurm hat ein neues Buch geschrieben«, sagte sie.
    »Ich habe davon gehört«, erwiderte Oma Wetterwachs. Die Schatten im Zimmer schienen ein wenig dunkler zu werden.
    Nun, das erklärte ihre Verdrießlichkeit. Allein der Gedanke an Frau Ohrwurm machte Oma Wetterwachs wütend. Für Oma Wetterwachs war an Frau Ohrwurm alles falsch. Sie war nicht in den Bergen geboren, und allein das kam fast einem Verbrechen gleich. Sie schrieb Bücher, und Oma Wetterwachs traute Büchern nicht. Und Frau Ohrwurm (Oor-wm ausgesprochen, zumindest von Frau Ohrwurm) glaubte an glänzende Zauberstäbe, magische Amu lette, mystische Runen und die Macht der Sterne, wohingegen Oma Wetterwachs an Tee, trockene Kekse und morgendliches Waschen mit kaltem Wasser glaubte. Vor allem aber glaubte sie an Oma Wetterwachs.
    Frau Ohrwurm war bei den jüngeren Hexen sehr beliebt, denn ihre Art der Hexerei erlaubte ihnen, so viel Schmuck zu tragen, dass sie kaum mehr gehen konnten. Oma Wetterwachs war bei niemandem sehr beliebt...
    ... es sei denn, man brauchte sie. Wenn der Tod an der Wiege stand oder jemandem im Wald die Axt ausgerutscht war und Blut ins Moos
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