Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Waldsteig

Titel: Der Waldsteig
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
werde. Er hatte sehr schöne gestrikte Unterleibchen, Strümpfchen und Aermlein, die alle außer dem Nuzen noch manches sehr schöne rothe Streifchen hatten. Eine Strikerin war das ganze Jahr für das Kind beschäftigt. Im Bettchen waren feine Lederunterlagen und Lederpolster und gegen die Zugluft der Fenster stand eine spanische Wand. Für die Gehörigkeit der Speisen sorgte die Mutter schon selber und ließ sie durch keine Dienstleute bestellen. Als er größer war und herum gehen konnte, wählte sie nach bester Einsicht die Kleider. Zur Beschäftigung seiner Einbildungskraft, und daß sie ja nicht durch unliebliche Vorstellungen gepeinigt werde, brachte sie ihm allerlei Spielzeug nach Hause und trachtete dahin, daß das folgende immer das vorhergegangene an Glanz und Schönheit übertreffe. Allein hierin erlebte sie eine Verkehrtheit an dem Knaben, die sie sich ganz und gar nicht denken konnte; denn er legte alle die Dinge, nach kurzer Beschauung und einigem Spielen damit, wieder hin, und da er durch eine Seltsamkeit, die niemand begriff, immer lieber Mädchen- als Knabenspiele trieb, so nahm er alle Male den Stiefelknecht seines Vaters, wikelte ihn in saubere Windel ein, und trug ihn herum und herzte ihn.
    Drittens war der Hofmeister. Er bekam nehmlich einen solchen. Derselbe war ein sehr ordentlicher Mann, und wollte, daß alles in Gehörigkeit geschehe, ob nun die Ungehörigkeit einen Schaden bringe, oder nicht. Gehörigkeit an sich ist Zwek. Daher litt er nicht, daß der Knabe etwas weitschichtig erklärte, oder in abschweifenden Bildern vortrug; denn er, der Hofmeister, war in dem Stüke der Meinung, daß jedes Ding mit denjenigen Worten zu sagen sei, die ihm einzig noththäten, mit keinem mehr, mit keinem minder – am allerwenigsten, daß man Nebenumstände bringe und das nakte Ding in Windel wikle. Da nun der Knabe nicht reden durfte, wie Kinder und Dichter, so redete er fast, wie ein Recept, das kurz, kraus und bunt ist, und das niemand versteht. – Oder er schwieg und dachte sich innerlich allerlei zusammen, das niemand wissen konnte, eben weil er es niemanden sagte. Er haßte alle Wissenschaft und alles Lernen, und konnte nur dazu gebracht werden, wenn der Hofmeister einen langen und bündigen Beweis über den Nuzen und die Vortrefflichkeit der Wissenschaften herbei führte, der den Knaben quälte. Wenn dieser dann nach fleißigen Tagen alles auf einmal hersagen wollte, wurden Dämme und Verschläge aufgebaut, und nur der dünne Wasserfaden der Hauptsache heraus gelassen. Da der Hofmeister wegen seiner Tacitus'schen Forderung kein Weib bekommen hatte, so blieb er recht lange in dem Hause.
    Zum Vierten und Lezten war der Oheim. Derselbe war ein reicher, unverheiratheter Kaufmann in der Stadt; denn Vater und Mutter des Knaben lebten außerhalb derselben auf einem Gute. Obwohl nun die Eltern des Knaben selber reich genug waren, so war doch noch die Erbschaft des Oheims für denselben zu erwarten, und der Hagestolz hatte dies selber oft genug durch seine ausdrüklichen Erklärungen bestätigt. Er nahm sich daher die Befugniß heraus, mit an dem Knaben zu erziehen. Er schrie ihm Praktisches zu, und erklärte ihm deutlich, wenn er zu seiner Schwester auf das Landgut herauskam, wie man es bei dem Baumklettern, was aber der Knabe nie that, machen müsse, daß man die wenigsten Hosen zerreiße.
    Ehe ich in der Geschichte weiter gehe, muß ich auch sagen, daß mein Freund unglüklicher Weise gar nicht Tiburius hieß. Er hatte den Vornamen Theodor; aber er mochte, als er herangewachsen war, noch so groß unter seine schriftlichen Aufgaben sezen: »Theodor Kneigt,« er mochte, als er später gar reiste, in die Fremdenbücher schreiben: »Theodor Kneigt,« es mochte auf allen Briefen, die an ihn kamen, stehen: »An den hochwohlgebornen Herrn Theodor Kneigt,« – es half alles nichts; jedermann nannte ihn in der Rede nur »Tiburius« und die meisten Fremden, die sich in der Stadt aufhielten, meinten nach und nach, das schöne Landhaus, das an der Nordstrasse liege, gehöre dem Vater des Herrn Tiburius Kneigt. Der Name klingt so wirblicht und steht in keinem Kalender. Die Sache kam aber so: weil der Knabe öfter so sinnend und grübelnd war, so geschah es, daß er in der Zerstreuung Dinge that, die lächerlich waren. Wenn er nun, um etwas von dem hohen Kleiderkasten herab zu holen, seine Kindertrommel als Schemel hinstellte – wenn er sich zum Spazierengehen seine Kappe ausbürstete, und dann die Kappe niederlegte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher