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Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Titel: Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast
Autoren: Friedrich Ani
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sich, dafür ist er eher wenig traurig, finde ich. Obwohl man nicht in einen Menschen hineinsehen kann.«
    »Da ist unser Pathologe anderer Meinung«, sagte Süden.
    Zuerst wusste sie nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Dann seufzte sie, trank einen Schluck. Sekundenlang gehörte ihr Blick einer anderen, fernen Gegend.
    »Warum haben Sie sich getrennt, Frau Grotwohl?«
    »Kein Feuer mehr. So einfach ist das.«
    »Einfach ist das nicht im Geringsten.«
    Verwirrt sah sie ihn an.
    Süden schwieg.
    Nachdem sie aus dem Wasserglas getrunken hatte, ruckte sie wieder mit dem Kopf und schüttelte die Haare aus dem Gesicht. »Jedenfalls ist es nicht einfach, einem Mann gegenüberzusitzen, der nichts redet und einen trotzdem aushorcht.«
    »Das ist doch kein Widerspruch.«
    Für ein paar Momente hielt sie den Mund halb geöffnet. Dann schloss sie ihn und kaute wieder auf den Lippen. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Süden schwieg. Er trank, behielt das Glas in der Hand, trank weiter, schwieg weiter.
    Die Frau ertrug sein stummes Dasitzen nicht. »Geben Sie doch zu, dass Sie mir misstrauen«, sagte sie mit harter Stimme. »Sie denken, ich halt was geheim vor Ihnen, Sie glauben, ich mach Ihnen was vor. Geben Sie’s doch zu.«
    »Ich gebe es zu«, sagte er.
    Mit solcher Offenheit hatte sie nicht gerechnet. Anstatt dass ihr ein Lächeln gelang, verzog sie eigenartig den Mund, bewegte den Oberkörper vor und zurück – Süden roch ihr Parfüm, das er kühl fand – und wusste nicht, wohin mit ihren Blicken. Nur mit großer Selbstdisziplin brachte sie einen Satz hervor, der halbwegs unaufgeregt klang.
    »Sie sollen mich nicht beschuldigen, Herr Kommissar, kümmern Sie sich besser um den Geliebten von Frau Leimer.«
    In der Materialsammlung über die Vermissung des Richard Leimer fehlte bisher jeder Hinweis in dieser Richtung. Süden dachte: Sie legt eine neue Fährte aus, und sagte: »Wie heißt der Mann?«
    »Rincke.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Glaub ich zumindest.«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Nein.«
    »Herr Leimer hat Ihnen von ihm erzählt.«
    »Er hat den Mann erwähnt.«
    »Wann?«
    »Bitte?«
    »Wann hat er den Mann erwähnt?«
    »Vor einem halben Jahr oder länger.«
    »Warum hat er ihn erwähnt?«
    Sie wollte trinken, stellte das Glas aber wieder auf den Bierdeckel. »Das ist doch logisch: Weil er verletzt war. Jetzt können Sie sagen, er hat ja selber eine Geliebte, welches Recht hat er dann, verletzt zu sein? Stimmt. Wir haben dann nicht weiter darüber geredet.«
    »Und warum soll ich mich um ihn kümmern?«, fragte Süden.
    »Weil er gefährlich ist. Er bedroht die Frau Leimer. Er schlägt sie. Glaub ich. Sie sollen sich um ihn kümmern, weil er ein Gewalttäter ist. Verstehen Sie das nicht?«
    »Hat er etwas mit dem Verschwinden von Richard Leimer zu tun?«
    »Wieso das denn?«
    Diese Gegenfrage fand Süden fast hilflos. Und weil er sie so hilflos fand, irritierte sie ihn mehr als alle anderen Lügen, die Margret Grotwohl ihm offensichtlich die ganze Zeit auftischte. Doch warum? Falls sie den Aufenthaltsort von Richard Leimer kannte – warum machte sie ein Geheimnis daraus? Warum sollte Leimer sich verstecken? Vor wem? Vor seiner Frau? Vor dem Liebhaber seiner Frau? Warum?
    Warum sah Süden die Tür nicht, obwohl er direkt davor stand?
    Er schwieg.
    Er schwieg so lange, bis Margret Grotwohl aufstand.
    »Kann ich gehen?«, sagte sie grimmig, beugte sich noch einmal hinunter und zog ihre Geldbörse aus der Manteltasche.
    »Ja«, sagte Süden. »Wir sehen uns morgen.«
    »Morgen hab ich den ganzen Tag Unterricht.« Sie wandte sich um. Der Kellner stand an der Glastheke mit den Eisfächern. »Zahlen, bitte!«
    Als die Frau sich den Mantel anzog, sagte Süden: »Sind Sie verheiratet?«
    Wieder zuckte sie mit dem Kopf und steckte mit hastigen Bewegungen die Knöpfe in die Ösen.
    »Ich bin nicht verheiratet«, sagte sie und eilte an ihm vorbei zur Tür.
    Sein Glas war leer. Und weil er wieder an seinen toten Freund denken musste, bestellte er noch ein Bier und anschließend ein viertes.

4
    Nach der Aussage von Karla Leimer hatte ihr Mann am Sonntagabend zwischen 17 und 18 Uhr die Wohnung in der Ohmstraße verlassen. Den genauen Zeitpunkt konnte sie nicht nennen, da sie, wie sie sich ausdrückte, »friedlich geschlummert« habe. Wenn sie sonntags einen Nachmittagsfilm im Fernsehen anschaue, lege sie sich danach fast immer auf die Couch und schlafe »eine Runde«. Am vergangenen Sonntag sei wieder einmal
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