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Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast

Titel: Der verschwundene Gast - Ani, F: verschwundene Gast
Autoren: Friedrich Ani
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Wohnung gefunden zu haben, deren Zimmer auf eine belebte Straße gingen, wobei die Betonung auf »belebt« lag.
    »Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagte Margret Grotwohl. »Ich musste noch ein paar Telefonate führen.«
    »Guten Abend«, sagte Süden.
    Nachdem sie ihren Mantel ausgezogen und neben sich auf die Bank gelegt hatte, sagte Margret Grotwohl. »Ich geh fast nie hierher, ich bin nicht so ein Pizzafan.«
    Sie bestellte ein Viertel Pinot Grigio und ein stilles Mineralwasser. Auch für so eine Bestellung, dachte Süden, hätte Martin Heuer nichts als Verachtung übrig gehabt.
    »Dürfen Sie im Dienst Bier trinken?«, sagte sie.
    »Das darf ich.«
    »Dann dürfen Sie bestimmt hinterher auch noch Autofahren.«
    »Ich habe kein Auto.«
    Der Kellner brachte den Wein und das Wasser, ein schlanker, grauhaariger, etwa sechzigjähriger Mann, der, wenn Süden sich nicht täuschte, schon damals in dem Lokal gearbeitet hatte.
    Sie tranken und schwiegen eine Zeitlang.
    Süden hatte seinen kleinen karierten Block und den Stift vor sich hingelegt. Im Laufe des Nachmittags hatte er weitere Informationen über den verschwundenen Richard Leimer und sein Umfeld zusammengetragen und, nachdem er mit der 27er-Tram vom Stachus bis zum Elisabethplatz gefahren war, von wo aus er zu Fuß zum
Adria
gehen wollte, mit einigen Nachbarn in der Häuserzeile gesprochen, in dem Leimers Bekleidungsgeschäft gelegen hatte. In den zwei Räumen befand sich mittlerweile eine Second-Hand-Boutique für Kinderbekleidung.
    »Warum fragen Sie mich nichts?«
    Margret Grotwohl hatte sich geschminkt und ihre Haare gewaschen, ohne sie hinterher zu kämmen. Es sah so aus, als habe sie die Haare mit den Händen absichtlich durcheinandergewirbelt. Jedesmal, wenn sie den Kopf bewegte, fielen ihr graue Strähnen vor die Augen und sie musste sie mit einer ruckartigen Kopfbewegung wegschütteln. Meist jedoch saß sie ruhig da, die Hände am Weinglas.
    »Meine Einladung steht noch«, sagte Süden.
    »Ich hab zuhause ein Brot gegessen.«
    »Sie geben Klavierunterricht, damit verdienen Sie Ihr Geld.«
    »Und mit Studioarbeit. Manchmal, wie gesagt, sing ich auch noch.«
    »Ich habe mir im Internet einen alten Song von Ihnen angehört«, sagte Süden. »›The Seventh Day‹. Hat mir gefallen. 1990 haben Sie Ihre Karriere beendet.«
    »Ich hab sie nicht beendet«, sagte Margret Grotwohl. »Sie hat sich selbst beendet.« Sie trank und kaute auf den Lippen. »Ich hab meine Stimme verloren. Plötzlich war sie weg. Sie sind doch von der Vermisstenstelle, wären Sie auch für verschwundene Stimmen zuständig?«
    Sie lächelte, kurz und unheiter.
    »Möglicherweise«, sagte Süden.
    »In der Zeit hab ich viel geraucht und getrunken, ich hab’s darauf geschoben. Das war das Einfachste.«
    »Aber Sie haben Ihre Stimme verloren, weil Sie die Lieder nicht mehr singen wollten, die Sie gesungen haben.«
    »Woher wissen Sie das?« Mehrmals schüttelte sie den Kopf. Danach standen ihre Haare noch mehr ab. »Stört Sie meine Frisur?«
    »Nein.«
    »Ich mag meine Haare, auch wenn sie grau sind und immer grauer werden.«
    »Sie sind eine schöne Frau«, sagte Süden.
    »Von einem Polizisten hab ich noch nie ein Kompliment bekommen.«
    Süden leerte sein Bierglas. Bevor er nach demKellner Ausschau halten konnte, tauchte dieser hinter der Garderobe auf und hob den Daumen. Süden nickte, und der Kellner ging zur Theke.
    Gäste kamen herein und setzten sich an die gedeckten Tische im hinteren Teil des Restaurants, wo das Licht gedämpfter und die Musik leiser war.
    »Später aber ist Ihre Stimme zurückgekommen«, sagte Süden.
    »Ja«, sagte Margret, »aber da wollt ich sie nicht mehr. Jetzt träller ich ein bisschen im Studio eines Freundes, Background, verstehen Sie?«
    Der Kellner brachte das frisch gezapfte Bier und nahm das leere Glas mit.
    »Aber deswegen sitzen wir nicht hier«, sagte die ehemalige Sängerin. »Sie haben mich nach dem Wesen von Richard Leimer gefragt. Woher, glauben Sie, sollte ich sein Wesen kennen?«
    »Sie sind seine Geliebte.«
    Diesmal lächelte sie ein wenig freier. »Ich war seine Geliebte, wir haben uns getrennt. Ich weiß nicht, was er zur Zeit macht. Oder, falls das stimmt, wieso er verschwunden sein soll.«
    »Ist er ein trauriger Mensch?«
    Sie zögerte mit der Antwort. »Wir sind alle hin und wieder traurig. Ich bin Ende fünfzig. Wenn ich mir die Zahl aufschreib, werd ich manchmal traurig. Das geht vorbei. Herr Leimer hat schwere Zeiten hinter
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