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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: John Grisham
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der Lage, sich zu rühren. Sie sackten langsam in sich zusammen und sahen ziemlich angeschlagen aus.
    Ihr Unbehagen sollte sich jedoch noch deutlich steigern.
    »Sie zuerst«, sagte Mister. »Wie heißen Sie?«
    »Michael Brock«, antwortete ich höflich. Freut mich, Sie kennenzulernen.
    »Wie viel haben Sie letztes Jahr verdient?«
    »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt: hundertzwanzigtausend, vor Steuern.«
    »Und wie viel haben Sie gespendet?«
    Ich war sicher, dass ich ihm etwas vorlügen konnte. Zwar war ich kein Steueranwalt, doch ich würde seinen Fragen geschickt ausweichen können. Ich fand meine Steuererklärung und blätterte sie durch. Claire hatte als Assistenzärztin im zweiten Jahr einunddreißigtausend verdient, so dass wir ein ganz ansehnliches Bruttoeinkommen hatten. Allerdings mussten wir dreiundfünfzigtausend Dollar abführen - für die Einkommensteuer und eine verblüffende Vielzahl anderer Steuern -, und nach Abzug der Tilgungsraten für die Studienkredite, der Ausgaben für Claires berufliche Weiterbildung, der Kosten für eine sehr hübsche Wohnung in Georgetown (zweitausendvierhundert pro Monat), zwei neue Wagen mit den üblichen Leasingverträgen und einen Haufen anderer Annehmlichkeiten, die zu einem komfortablen Leben gehören, hatten wir nur zweiundzwanzigtausend in Investmentfonds angelegt.
    Mister wartete geduldig. Seine Geduld begann mir auf die Nerven zu gehen. Ich nahm an, dass die Männer des Einsatzkommandos inzwischen durch Luftschächte krochen, auf nahe gelegene Bäume kletterten, über die Dächer der benachbarten Gebäude robbten, die Grundrisse der Büroräume studierten und all die Dinge taten, die man aus dem Fernsehen kannte - alles mit dem Ziel, Mister eine Kugel in den Kopf zu schießen. Doch ihn schien das nicht zu kümmern. Er hatte sein Schicksal akzeptiert und war bereit zu sterben. Ganz im Gegensatz zu uns.
    Er spielte ständig mit dem roten Draht herum und sorgte so dafür, dass meine Pulsfrequenz nicht unter hundert sank.
    »Ich habe der Yale University tausend Dollar gespendet«, sagte ich. »Und zweitausend Dollar an United Way.«
    »Wie viel haben Sie den Armen gegeben?«
    Ich bezweifelte, dass das Geld für Yale irgendwelchen bedürftigen Studenten zugute kam. »Na ja, United Way verteilt das Geld auf verschiedene Projekte, und ich bin sicher, dass ein Teil davon für die Armenhilfe aufgewendet worden ist.«
    »Wie viel haben Sie den Hungrigen gegeben?«
    »Ich habe dreiundfünfzigtausend Dollar Steuern bezahlt, und ein nicht gerade kleiner Teil davon ist an die Sozialhilfe, Medicaid, Kinderhilfsorganisationen und so weiter gegangen.«
    »Und haben Sie das Geld freiwillig gezahlt, im Geiste brüderlicher Solidarität?«
    »Ich habe mich nicht beklagt«, sagte ich und log damit wie die meisten meiner Mitbürger.
    »Sind Sie je hungrig gewesen?«
    Er mochte einfache Antworten. Mit Witz und Sarkasmus würde ich nicht weit kommen. »Nein«, sagte ich. »Nie.«
    »Haben Sie je im Schnee geschlafen?«
    »Nein.«
    »Sie verdienen viel Geld, aber Sie sind zu raffgierig, um mir ein bißchen Kleingeld zu geben, wenn ich Sie auf der Straße anspreche.« Er zielte mit der Pistole auf die anderen acht. »Sie alle. Sie gehen vorbei, wenn ich dasitze und bettle. Sie geben mehr für Kaffeespezialitäten aus als ich für Essen. Warum helfen Sie den Armen, den Kranken, den Obdachlosen nicht? Sie haben so viel.«
    Ich ertappte mich dabei, dass ich diese raffgierigen Saukerle mit Misters Augen betrachtete. Sie waren kein schöner Anblick. Die meisten hatten den Blick gesenkt. Nur Rafter starrte ihn über den Tisch hinweg an und dachte, was wir alle dachten, wenn wir über die Mister auf den Straßen von Washington hinwegstiegen: Wenn ich dir Geld gebe, wirst du a) in den nächsten Schnapsladen laufen, b) weiterbetteln und c) nie von der Straße verschwinden.
    Stille. Irgendwo in der Nähe knatterte ein Hubschrauber, und über das, was sie auf dem Parkplatz planten, konnte ich nur spekulieren. Gemäß Misters Weisungen waren die Telefone stummgeschaltet, so dass Gespräche mit der Außenwelt nicht möglich waren. Er wollte nicht mit denen da draußen reden oder verhandeln. Sein Publikum saß hier im Konferenzraum.
    »Wer von denen verdient am meisten?« fragte er mich.
    Malamud war der einzige Teilhaber, und ich kramte in den Papieren nach seinen Unterlagen.
    »Das bin wahrscheinlich ich«, sagte Malamud.
    »Wie heißen Sie?«
    »Nate Malamud.«
    Ich blätterte in seiner
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