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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: John Grisham
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Bargeld auf den Tisch und begann, die Taschen der anderen Geiseln auszuräumen.
    »Das ist für die Hinterbliebenen«, sagte Mister, und wir alle erbleichten.
    Er befahl mir, alles in einen Aktenkoffer zu legen, diesen zu verschließen und dann wieder den »Boß« anzurufen. Rudolph nahm nach dem ersten Rufton ab. Vor meinem geistigen Auge sah ich den Leiter des Einsatzkommandos neben ihm sitzen.
    »Rudolph, ich bin’s wieder, Mike. Die Freisprechanlage ist eingeschaltet.«
    »Ja, Mike. Ist jemand verletzt?«
    »Nein. Der Herr mit der Pistole möchte, dass ich die Tür, die dem Foyer am nächsten ist, ein Stück aufmache und einen schwarzen Aktenkoffer auf den Gang stelle. Danach werde ich die Tür wieder schließen und verriegeln. Haben Sie verstanden?«
    »Ja.«

    Die Mündung der Pistole lag an meinem Hinterkopf, als ich die Tür langsam einen Spaltbreit öffnete und den Aktenkoffer auf den Gang warf. Ich sah keine Menschenseele.
    Nur wenige Dinge stehen zwischen dem Anwalt einer großen Kanzlei und der Freude, honorarfähige Stunden zu berechnen. Eines davon ist Schlaf, doch die meisten von uns schliefen nur wenig. Essen ist eine durchaus honorarfähige Tätigkeit, insbesondere wenn es um ein Mittagessen geht, das der Mandant bezahlt. Die Minuten schleppten sich dahin, und ich fragte mich, wie die anderen vierhundert Anwälte es anstellten, die Zeit zu berechnen, in der sie darauf warteten, dass die Geiselnahme zu Ende ging. Vor meinem geistigen Auge sah ich sie auf dem Parkplatz, wo die meisten wahrscheinlich in ihren Wagen saßen, um sich warm zu halten, und per Handy mit irgendwelchen Mandanten sprachen, nur damit sie jemandem etwas in Rechnung stellen konnten. Ich kam zu dem Schluss, dass die Geschäfte der Kanzlei reibungslos weiterliefen.
    Einigen dieser Halsabschneider dort unten war es vollkommen gleichgültig, wie diese Sache zu Ende ging -Hauptsache, sie ging schnell zu Ende.
    Mister schien ein wenig einzudösen. Sein Kinn sackte nach unten, und er atmete tiefer. Rafter machte durch einen kurzen Knurrlaut auf sich aufmerksam und gab mir durch eine Kopfbewegung zu verstehen, ich solle etwas unternehmen. Das Problem war nur, dass Mister in der rechten Hand eine Pistole hatte, und wenn er tatsächlich ein Nickerchen machte, dann tat er es, ohne den gefährlichen roten Draht, den er in der Linken hielt, loszulassen.
    Und Rafter wollte, dass ich den Helden spielte. Obgleich er der ausgekochteste und erfolgreichste Prozessanwalt der Kanzlei war, hatte man ihn noch nicht zum Teilhaber gemacht. Er war nicht in meiner Abteilung, und wir waren nicht in der Armee. Ich nahm keine Befehle entgegen.
    »Wie viel Geld haben Sie im letzten Jahr verdient?« fragte Mister, der einen hellwachen Eindruck machte, mich mit klarer Stimme.
    Wieder war ich überrascht. »Ich … äh … Da muss ich nachdenken …«
    »Und lügen Sie mich nicht an.«
    »Hundertzwanzigtausend.«
    Auch diese Auskunft gefiel ihm nicht. »Und wie viel haben Sie gespendet?«
    »Gespendet?«
    »Ja. An wohltätige Einrichtungen.«
    »Ach so. Tja, das weiß ich nicht so genau. Um die Rechnungen und so weiter kümmert sich meine Frau.«
    Alle acht Prozessanwälte schienen gleichzeitig von einem Bein auf das andere zu treten.
    Auch diese Antwort gefiel Mister nicht, und er war nicht bereit, sich damit abspeisen zu lassen. »Wer füllt Ihre Steuererklärung aus?«
    »Sie meinen für die Einkommensteuer?«
    »Genau.«
    »Das macht unsere Steuerabteilung, unten, in der ersten Etage.«
    »In diesem Gebäude?«
    »Ja.«
    »Dann lassen Sie sie kommen. Lassen Sie die Steuererklärungen aller Leute hier im Raum kommen.«
    Ich sah die anderen an. Ein paar von ihnen machten Gesichter, als wollten sie sagen: »Erschieß mich lieber sofort!« Ich zögerte wohl etwas zu lange, denn Mister rief: »Und zwar sofort!« Ein Wink mit der Pistole unterstrich seinen Wunsch.
    Ich rief Rudolph an, der ebenfalls zögerte, so dass ich laut werden musste.
    »Faxen Sie sie uns«, rief ich. »Nur die vom letzten Jahr.«
    Während der folgenden fünfzehn Minuten starrten wir auf das Faxgerät in der Ecke, als fürchteten wir, Mister könnte uns erschießen, wenn unsere Steuererklärungen nicht schleunigst übermittelt wurden.

    ZWEI

    Als frisch ernannter Schreiber der Gruppe setzte ich mich auf einen Stuhl, den Misters Pistole mir angewiesen hatte. Vor mir lag ein Stapel Faxkopien. Meine Kollegen standen nun schon seit fast zwei Stunden an der Wand, aneinander gefesselt und kaum in
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