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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
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unten zu liegen, denn das Prasseln der Erde musste sich anhören wie Donner. Das Messer befand sich allerdings auch dort unten; Kizzy hatte gesehen, wie ihr Vater es in den Sarg gelegt hatte, und sie hatte darum getrauert. Der Griff aus Perlmutt war so hübsch und Kizzys Wunsch danach hatte nicht nachgelassen, was ihre Großmutter geahnt haben musste, denn als sie bereits im Totenbett lag, hatte sie Kizzy zu sich gewinkt und geflüstert: »Vergiss das Messer nicht, Sonnenscheinchen.«
    Kizzy hatte gedacht, sie würde es ihr schenken, und lächelnd genickt. Aber die alte Frau hatte hinzugefügt: »Wag nicht, es mir aus dem Sarg zu stehlen.« Und mit diesen Worten auf den Lippen war sie gestorben.
    Manchmal stellte sich Kizzy ihre Großmutter vor, wie sie sich Messerkampf um Messerkampf durch den langen Tunnel des Todes voranarbeitete, aber meistens kreisten ihre Tagträume um ein anderes Thema. Und zwar handelten sie überwiegend davon, mit Mick Crespain langsamen Blues zu tanzen oder in der Mittagspause auf seinem Schoß zu sitzen, während er bei ihr den Arm um die Taille legte und nicht bei Sarah Ferris; davon, dass er seine Hände sanft unter ihre Brüste drückte und nicht unter Sarahs. Sie träumte davon, so schlanke Waden zu haben wie Jenny Glass, statt dieser Bauernstampfer, die sie ihr Eigen nannte. Davon, glattes Haar zu haben anstelle von krausem, schlanke Hüften anstatt die von Bauchtänzerinnen. Sie träumte von einem glockenklaren Lachen, von einer Schmetterlingstätowierung und einem Jungen, der seine Hand in ihre Jeanstasche steckte, wenn sie nebeneinander gingen, und der sie an einen Zaun drückte und an ihrer Unterlippe knabberte wie an einer süßen Frucht.
    Kizzy wünschte es sich so sehr, dass sich ihre Seele vor Sehnsucht halb aus dem Körper lehnte, und genau das machte die Kobolde wild – ihre Seele, die heraushing wie ein aus der Hose gerutschtes Hemd. Da könnten noch so viele Großmüttergeister dem Sonnenlauf folgend um sie herumtanzen, das hätte sie nicht davon abgehalten, dieser offenen Seele nachzujagen. So gierig waren sie nach ihr. Vermutlich hätte es ihr sogar geschmeichelt, dass jemand so vernarrt in sie war, auch wenn es sich nur um Kobolde handelte.
    »Manche Kobolde haben Schwanz und Bart«, ging die Geschichte ihrer Großmutter. »Oder Geweih und Schneckenhäuser und Kiemen. Hufe, Klauen, Schnabel. Diese Geschöpfe sind voneinander so verschieden wie Gottes Geschöpfe in einem Zoo – nur sind sie nicht von Gott erschaffen! Sie arbeiten für den Alten Pferdefuß und fangen Seelen für ihn und beinahe hätten sie sich die meiner Schwester geschnappt. Sie war bereit, sie ihnen zu schenken, wenn sie nur noch einmal von ihren Früchten kosten dürfte.
    Meine Schwester war dir in vielem so ähnlich, Sonnenscheinchen. Mairenni war immer hinter etwas her, das sie unbedingt haben musste, ein neues Kopftuch oder die Gitarre unseres Bruders oder einen Blick von dem hübschen Schmied. Und wenn die Koboldmänner durch die Schlucht zogen und zart wie Tauben riefen: › Kommt, kauft die Früchte aus unserem Garten, kommt und kauft! ‹ , wollte sie das auch. Und sie konnte gar nicht genug von den verzauberten Früchten bekommen. Birnen, Granatäpfel, Datteln, Feigen. Und die Ananas! Wir hatten nie Ananas gesehen. Mairenni war dumm genug, sich auf ihr Obst einzulassen – wo dachte sie nur würden in unseren Bergen solche Früchte wachsen?
    Sie sagte, sie waren süßer als Honig und köstlicher als Wein, und vielleicht stimmte das, aber sie hätten Mairenni beinahe ausgehöhlt – denn sie wollte immer mehr von diesen Früchten und konnte an nichts anderes mehr denken, wie bei einer Droge, die den Verstand zu einem Klümpchen schrumpfen lässt, welches nur das eine Verlangen kennt, und es verlangte und verlangte und verlangte Mairenni danach. Aber sie konnte keine Früchte mehr finden.
    Auf der Suche nach den Koboldmännern hetzte sie durch das Tal, doch sie konnte diese Unholde nicht sehen, selbst wenn sie da waren! Ich hörte ihr Gurren, ihre lockenden Stimmen, und ich sah ihre hässlichen Schatten, die den Berg hinauftrampelten, und auch unsere Cousine Peneli konnte sie hören, aber nicht Mairenni. So stellen sie das an: Sie quälen die Betreffende und locken ihre Seele wie eine Schnecke aus dem Haus, bis das Mädchen seine Seele kaum mehr fühlt und sie ihm wertlos erscheint und es bereit ist, sein Innerstes wegzugeben.
    Ein Mädchen aus dem Nachbardorf war bereits gestorben. War immer
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