Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte
Autoren: Julia Stuart
Vom Netzwerk:
verging, bevor sie sich erneut auf die Suche machten. Die Manschettenknöpfe lagen wieder in ihrer Dose auf dem Kamin, denn Hebe Jones hatte erklärt, dass er sich bis Weihnachten gedulden möge. Irgendwann kapitulierte das Ehepaar, und Balthazar Jones griff nach dem Telefonhörer, um den Chief Yeoman Warder zu bitten, sie zu befreien. Vier Anläufe brauchte der Mann, bevor der Ersatzschlüssel durch eines der offenen Fenster flog. Im selben Moment entdeckte Hebe Jones den richtigen Schlüssel im Schlüsselloch und zog ihn klammheimlich ab.
    Von da an blieb die Schlafzimmertür unverschlossen, und kein noch so energischer Protest konnte den Beefeater von seinen nächtlichen Wanderungen abhalten. Eines Morgens hörte Hebe Jones zu ihrer großen Erleichterung, dass ihr Mann vom Chief Yeoman Warder erwischt worden war. Die Erleichterung verwandelte sich allerdings in Entrüstung, als das Gerücht aufkam, dass Balthazar Jones eine heimliche Beziehung mit Evangeline Moore unterhalte, der jungen Tower-Ärztin, die das Herz vieler Patienten höher schlagen ließ. Das Ganze war gar nicht so weit hergeholt, da die meisten Affären der Tower-Bewohner sich innerhalb der Festungsmauern abspielten, wo man nach Mitternacht eingeschlossen war. Obwohl Hebe Jones wusste, dass nichts an der Sache dran war – seit Milos Tod hatte sich ihr Ehemann den Freuden der Liebe versagt –, verbannte sie ihn vierzehn Tage lang aus dem gemeinsamen Ehebett. Die Füße zu beiden Seiten des Wasserhahns abgelegt, schlief er in der Badewanne. Enge und Feuchtigkeit seiner Umgebung ertrug er, indem er inmitten der Spinnen dalag und träumte, er treibe mit einem sinkenden Kahn über das offene Meer. Morgens früh stand Hebe Jones dann auf, um ein Bad einzulassen, wobei sie tunlichst darauf achtete, ihren Ehemann nicht vorher hochzuscheuchen und immer zuerst das kalte Wasser anzudrehen.
    Als sie nun auf den Wecker auf ihrem Nachttisch schaute, wurde sie von Wut gepackt, weil sie schon wieder im Schlaf gestört worden war. Üblicherweise rächte sie sich auf ganz eigene Weise, wenn ihr Mann wieder ins Bett zurückgekehrt war. Sobald sie seinen regelmäßigen Atem vernahm, stand sie auf und marschierte wie ein durchgeknallter Wachmann zum Bad. Die Tür ließ sie auf, und sobald sie sich auf die Klobrille gesetzt hatte, entleerte sie ihre Blase. Das Rauschen war so gewaltig, dass ihr Ehemann sofort davon aufwachte und in Panik geriet, weil er felsenfest davon überzeugt war, sich in einem Schlangennest zu befinden. Wenn das infernalische Zischen schließlich endete, sank der Beefeater sofort in seine Träume zurück. Wenige Sekunden später allerdings rauschte in einem perfekten Timing der nächste Wasserfall herab, kürzer, aber ebenso ohrenbetäubend, und wenn er sich mit steigender Tonhöhe dem Ende näherte, hatte er den Beefeater erneut aus dem Schlaf gerissen.
    Hebe Jones zog die abgewetzte Decke ans Kinn hoch und dachte an die Vitrinen mit den ägyptischen Parfümflaschen im Obergeschoss des Salt Towers und an die Grausamkeit der Trauer. Plötzlich dämpfte Mitleid ihre Wut. Das Wasserglas auf ihrem Nachttisch, das sie für gewöhnlich bei diesen Gelegenheiten leerte, ließ sie stehen und drehte sich wieder auf die Seite. Als ihr Ehemann schließlich mit einem leeren Gefäß zurückkam, weil sich die Wolken verzogen hatten, und neben ihr ins Bett krabbelte, tat Hebe Jones, als würde sie schlafen.

KAPITEL ZWEI
    Es war der Anblick des Morgenmantels, der an der Schlafzimmertür hing, die ägyptische Parfümflasche noch in der Tasche, woran sich am nächsten Morgen Hebe Jones’ Ärger wieder entzündete. Wütend griff sie nach dem Türriegel und hatte alles Mitleid mit ihrem Ehemann vergessen, weil sich der gestörte Schlaf nun in Form von Kopfschmerzen bemerkbar machte. In rosafarbenen Lederschläppchen und Nachtwäsche stieg sie die Treppe hinunter und dachte an all die Male, da sie von der Besessenheit ihres Mannes aus ihren Träumen gerissen worden war. Als er zum Frühstück herunterkam, stellte sie ihm ein Rührei hin, das ungewöhnlich ungestüm geschlagen worden war, und machte ihrem Ärger Luft.
    Minuten später krampfte sich der Magen des Beefeaters erneut zusammen, weil seine Frau plötzlich nicht mehr über seine zwanghaften nächtlichen Ausflüge redete, sondern sich über die vielen Nachteile eines Lebens im Tower ereiferte. Sie begann mit dem Dach des Salt Towers, das ein miserabler Ersatz für ihren geliebten Garten war, der wiederum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher