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Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler
Autoren: Frederick Forsyth
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bis 1989 hatte er unauffällig und sachverständig den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan geleitet, ein Unternehmen ohne Skandale, ohne größere Niederlagen und – vor allem – ohne nationalen Gesichtsverlust, obwohl die Wölfe Allahs den ganzen Weg bis zum Salang-Paß nach den Fersen der Russen geschnappt hatten. Die Operation hatte ihm in Moskau hohes Ansehen verschafft und den Generalsekretär persönlich auf ihn aufmerksam werden lassen.
    Doch während er seine Pflicht getan und sich den Marschallstab verdient hatte, tat er einen geheimen Schwur: Nie wieder würde er einen Rückzug seiner geliebten russischen Armee kommandieren – denn trotz der aufwendigen Public-Relations-Kampagne war das Unternehmen Afghanistan eine Niederlage gewesen. Eine weitere drohende Niederlage war der Grund seiner düsteren Stimmung, als er durch die Doppelglasscheibe hinausstarrte auf die winzigen Eispartikel, die in Abständen am Fenster vorüberstoben.
    Der auf seinem Schreibtisch liegende Bericht, in seinem Auftrag verfaßt von einem der aufgewecktesten seiner Schützlinge, einem jungen Generalmajor, den er aus Kabul mitgebracht und in den Generalstab aufgenommen hatte, war schuld an seiner schlechten Laune. Kaminsky war ein Akademiker, ein tiefschürfender Denker und zugleich ein Organisationsgenie, weswegen ihm der Marschall den zweithöchsten Posten im Bereich Logistik zugeteilt hatte. Wie alle Offiziere mit Fronterfahrung wußte Koslow besser als die meisten anderen, daß Schlachten nicht durch Mut oder opferbereiten Einsatz oder auch nur von intelligenten Generälen gewonnen werden; sie werden gewonnen, wenn das richtige Gerät zur richtigen Zeit am richtigen Ort und obendrein in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
    Er erinnerte sich mit Bitterkeit an seine Erlebnisse als neunzehnjähriger Panzergrenadier, als die hervorragend ausgerüsteten deutschen Truppen die Verteidigungsstellungen des »Mutterlandes« niedergewalzt hatten, während die Rote Armee, durch die stalinistischen Säuberungen ausgeblutet und mit Ladenhütern ausgerüstet, den Vormarsch aufzuhalten versuchte. Sein eigener Vater war bei dem Versuch gefallen, eine unhaltbare Stellung bei Smolensk zu verteidigen und mit Repetiergewehren die vorwärtsdonnernden Panzerregimenter Guderians aufzuhalten. Das nächste Mal, so schwor er sich, werden wir über die richtige Ausrüstung verfügen, und zwar in reichlichem Maße. Diesem Ziel hatte er einen großen Teil seiner Karriere gewidmet, und nun unterstanden ihm die fünf Waffengattungen der Sowjetunion, die Armee, die Kriegsmarine, die Luftwaffe, die Strategischen Raketenstreitkräfte und die Luftverteidigung. Und sie alle waren, wie er dem dreihundert Seiten umfassenden Bericht auf seinem Schreibtisch entnehmen mußte, von einer Niederlage bedroht.
    Er hatte ihn bereits zweimal gelesen, nachts in seiner spartanisch eingerichteten Wohnung, abseits des Kutusowsk-Prospekts, und dann noch einmal an diesem Vormittag in seinem Dienstzimmer, wo er um 7   Uhr eingetroffen war und gleich den Telefonhörer neben den Apparat gelegt hatte, um nicht gestört zu werden. Nun trat er vom Fenster weg, ging zu dem breiten Schreibtisch am Ende des hufeisenförmigen Konferenztisches und nahm sich noch einmal die letzten Seiten des Konvoluts vor.
    ZUSAMMENFASSUNG: Es geht also nicht darum, daß nach den Voraussagen in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren die Erdölvorräte dieses Planeten zur Neige gehen werden, sondern darum, daß die Ressourcen der Sowjetunion in den nächsten sieben oder acht Jahren mit Sicherheit erschöpft sind. Der Schlüssel zu diesem Faktum findet sich in der Tabelle der nachgewiesenen Reserven weiter vorne in diesem Bericht und insbesondere in der mit R / P -Verhältnis bezeichneten Zahlenreihe. Das Verhältnis von Reserven zu Produktion ergibt sich, wenn man die Jahresproduktion eines ölfördernden Landes nimmt und dessen bekannte Reserven durch diese Zahl dividiert, in der Regel ausgedrückt in Milliarden Barrel.
    Die Zahlen vom Jahresende 1985 – leider handelt es sich um westliche Zahlenangaben, da wir uns trotz meiner engen Kontakte zu unserer Ölindustrie noch immer auf Informationen aus dem Westen stützen müssen, wenn wir uns darüber Klarheit verschaffen wollen, was in Sibirien vor sich geht – zeigen, daß wir in diesem Jahr 4,4   Milliarden Barrel Rohöl gefördert haben, was bedeutet, daß wir bei gleichbleibender Produktion weitere vierzehn Jahre fördern können.
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