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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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graumeliertes Haar, daß es knisterte.
    Ich vergewisserte mich, zehn Uhr, frühe Mittagszeit, gut, um jemanden zu Hause anzutreffen.
    Aber ich benötigte dennoch beinahe zwei Tage – in Abständen natürlich –, um alle meine Gefährten, mit denen ich fünf Jahre wachend, mehr als doppelt so viele schlafend zugebracht hatte, zu erreichen.
    Als erste rief ich natürlich Lisa. Sie war unser unermüdlicher Geist gewesen, nicht nur, weil sie auf den Familiennamen Ghost hörte, sondern weil sie von ihrer Tätigkeit an Bord her wirklich mit Fug und Recht als solcher bezeichnet werden konnte. Sie betreute uns medizinisch, kulturell, und sie hatte uns auch psychologisch aufzurichten, falls bei dem einen oder anderen die Raumkrankheit zupackte. Nun, und sie war meine Computersympathica, also meine errechnete Gefährtin für die Reise. Und es lag sicher nicht am Computer – wahrscheinlich hatte man ihm nicht das Unendlichkeitskalkül eingegeben –, daß sich jetzt nicht Lisa an Sefas Stelle befand. Auch das würde eine Rolle spielen, entschlösse ich mich, jenen Bericht zu schreiben.
    Lisa ist auch vor fünfzehn Jahren nicht das gewesen, was man landläufig unter einer schönen Frau versteht. Ein hübsches rundes Gesicht, umrahmt von mittellangen, mittelblonden Haaren. Graue, kleine Augen standen über meist rosigen Wangen, und aus ihrem geschwungenen Mund lugten beim Lachen Mäusezähnchen. Sie verabscheute die neumodischen pharmazeutischen Schlankmacher – ich übrigens auch –, und so trug sie einen stattlichen Busen und auch kleine Pölsterchen zur Schau.
    Ich erreichte Lisa beim Haarefönen, sie war mangelhaft bekleidet, und
auf ihren nackten Schultern standen Wasserperlen.
»Ich grüße dich, Lisa!« sagte ich.
    »Hallo«, erwiderte sie freundlich. »Sam! Du überraschst mich.« Sie hielt dabei den Kopf schief, weil sie den Wellkamm in eine Haarsträhne gewickelt hatte. Kein Anzeichen vom alten Groll in ihrem Gesicht… »Soll ich später…?« fragte ich zögernd.
    »Ist der Anblick dir so neu, Sam Martin?« Sie lächelte. »Hast ohnehin lange nichts von dir hören lassen.«
    »Wir waren verreist – Kamtschatka… Sind vorgestern erst zurückgekommen.«
    »Aha!« Mir schien, Lisa wurde aufmerksamer. »Deshalb hast du dich
nicht gerührt. Von einem Rufspeicher hältst du nichts, nicht wahr?«
»Hast du etwa…?«
»Habe ich!«
»Wer denkt denn so etwas!«
»Charmanter bist du auch nicht geworden.«
    »Weißt du…« Einen Augenblick lang wollte ich mich rechtfertigen. In der Tat konnte ich einen solchen Speicher nicht leiden. Er nötigte einen als höflichen Menschen, mit Leuten Verbindung aufzunehmen, die man sonst schnell abgefertigt hätte. Bei Lisa wäre das natürlich anders gewesen, aber daß sie mich zu sprechen wünschte, hätte ich nicht gedacht. »Schon gut, Sam!« Sie unterbrach mich lachend, zog die Strähnen aus dem Kamm und schüttelte das Haar, das einige Silberfäden mehr aufschimmern ließ. »Du rufst wegen dieses Universum-Verlages, nicht wahr?«
    »Woher weißt du…?« Als ich sie ausgesprochen hatte, merkte ich, wie einfältig meine Frage war. Lisa verunsicherte mich, mir schien, etliches von ihrer natürlichen Überlegenheit, die ich früher an ihr so schätzte, hatte sie wiedergewonnen.
    »Weil du der letzte bist – bis auf Friedrun, die ist zur Zeit unauffind
bar.«
»Und?«
»Was und? Machst du mit?«
    »Wollte erst hören, was ihr darüber denkt. Du bist die erste, die ich frage.«
    »Na freilich mache ich mit. Und ich sage dir gleich, ihr kommt nicht durchgängig gut dabei weg! Und du solltest auch… Gerade du, Sam! Es könnte eine gute Sache werden. Vieles blieb damals unausgesprochen, was ausgesprochen werden sollte… Und als Anthropologe könntest du
vielleicht Neues…, auf jeden Fall für viele Leser Interessantes beisteuern. Ich war doch meist nur die Blitzableiterin, die Mutmacherin und die, welche den Weinbrand reichte, wenn’s scheinbar nötig war. Und dann, so glaubt ihr doch, habe ich das Mannschaftsklima verdorben!« »Hm«, brummelte ich. »Eigentlich… Ich bin nicht sicher, ob ich so etwas kann. Am Ende locke ich mit dem, was ich aufschreibe, keinen Hund hinter dem Ofen hervor.«
    »Die vom Verlag wollen helfen. Und ich glaube, es steckt mehr dahinter, als die Sache an sich vermuten läßt!« Lisa betrachtete ihr Haarwerk in einem Handspiegel. Dann blickte sie schräg zu mir. »Die anderen sind alle dabei, bis auf Friedrun eben. Oh, entschuldige!« Sie sah in eine
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