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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt
Autoren: Alexander Kröger
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mit unserem doch immerhin plötzlichen Auftauchen nicht sonderlich überrascht, hatten unbedingt den Eindruck, erwartet zu werden, gewissermaßen. Ich erinnere an Marys Verhalten. Ergibt sich da nicht Widersprüchliches?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich hatte ich mir diese Frage selbst auch vorgelegt. »Das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht vielleicht«, versuchte ich zu erläutern. »Die Verantwortlichen dieser Unternehmung TELESALT haben gespürt, nein, letztlich gewußt, daß der Nesthocker Mensch nicht zum Nestflüchter umfunktioniert werden kann, daß die rigorose Abnabelung auch bei der besten Babyausstattung nie zur Reife, zum Erwachsenwerden führt, daß der Untergang im Grunde damit programmiert ist, der Untergang oder das ewige Kindsein, im günstigsten Falle.«
    »Aber wir wissen doch«, warf Lisa eifernd ein, »hätten sie bestimmte Fehler vermieden, hätten sie den Kontakt herstellen können…« »Eben – dann hätte ja die Lebensader, die Nabelschnur, bestanden, um in Sams Bild zu bleiben«, sagte Friedrun. »Die Fehler, die sie gemacht haben, sind allemal menschlich. Und es sind Fehler aus unserer Sicht, darfst du nicht vergessen.«
    »Und sie hatten noch Glück, großes Glück«, fügte ich hinzu. »Flora ist im Grunde kein lebensfeindlicher Planet. Hätte die Natur mehr Probleme bereitet, der Niedergang wäre schneller und – endgültiger gekommen…«
    »Was also hätten sie nach deiner Ansicht tun sollen?« fragte Lisa unangemessen aggressiv.
    »Ähnliches wie wir«, antwortete ich betont ruhig. »Sie hätten zurückstarten müssen, meinetwegen eine größere Gruppe zurücklassen, einen Pendelverkehr einrichten…«
    »Aha – eine Gruppe zurücklassen!« unterbrach Lisa rechthaberisch.
    »Bitte!« rief Bruno. »Und du, Sam, komm langsam zum Schluß!« Er blickte nachdrücklich zur Uhr.
    »Es bleibt nicht viel Neues.« Ich nahm den Faden wieder auf. »Pitt hatte sich diesmal länger in Seestadt aufgehalten, war wohl in eine Gruppe aufgenommen worden, bis sich seine Unfähigkeit, eine Familie zu gründen, herausstellte. Er befand sich offenbar in einer Kolonne vom selben Unglück Betroffener, die eine neue Siedlung vorzubereiten hatten. Wie ich vermute, ist es jene, die heute noch besteht. Denn dieses ist nicht Seestadt. Die heutige City ist über den Fluß als einziger Verkehrsader mit den Siedlungen in den Bergen verbunden – mit Mary und ihresgleichen. Vom Bauplatz aus war Pitt zur TELESALT zurückgekehrt, und er hatte Laura mitgenommen…«
    »Sam, entschuldige«, rief Inge. »Du sagtest, gewisse sogenannte freiheitliche Züge hätten zugenommen, und auf der anderen Seite existierten nach deiner Darstellung Arbeitskommandos – oder ähnliche Gruppierungen.«
    »Ich fand in Pitts Aufzeichnungen keine Hinweise mehr auf Outsider, aber mehrere darauf, daß das Herstellen von Alkohol zu Genußzwecken streng verboten worden war. Der Betrunkene und die Kneipe, die Fanny noch beschrieb, hatten bei Pitt einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, so daß er das Verbot erwähnenswert fand. Ich glaube aber nicht, daß das Alkoholverbot eine Wende brachte. Sie war wohl eine Folge dieser Männerkrankheit und der Entstehung des Matriarchats im Familienclan, der mit dem Rückgang der gesellschaftlichen Leistungen die einzige Exi stenzgrundlage der Menschen auf Neuerde bildete. Damit geriet der einzelne mehr und mehr in den Griff der Familie und deren Obermutter – oder wie auch immer. Und offenbar ging man da und dort mit Leistungsunwilligen oder – was ich als tragisch empfinde – Leistungsunfähigen drakonisch um. So mit diesem unglücklichen Geschöpf Laura. Das Mädchen ist als eine Art Ausgestoßene von Bergstadt schließlich weggelaufen, hat sich auf einem Baumstamm den Fluß hinuntertreiben lassen und ist von Pitts Gruppe aufgefischt worden. Laura erwies sich als unfähig, mit ihrem Hüftleiden ganztags zu arbeiten. Ihre geistigen Potenzen reichten nicht aus, körperlich weniger anstrengende Tätigkeiten zu verrichten. Sie blieb eine Ausgestoßene, und so nahm Pitt, der sich wahrscheinlich solidarisch fühlte, sie mit, als er Seestadt endgültig verließ. Ich fand keinerlei Anzeichen, daß er die Siedlung jemals wieder aufgesucht hätte.
    Pitt schildert den Rückmarsch zur TELESALT. Und obwohl er später erneut Kontakt zu den Bestattungszeremonien fand, ließ er einen Trauerzug an sich und Laura vorüberziehen, weil er mit der Gehbehinderten wohl ohnehin langsamer vorankam, aber –
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