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Der Traum des Satyrs

Der Traum des Satyrs

Titel: Der Traum des Satyrs
Autoren: Elizabeth Amber
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sich halb von ihren Plätzen erhoben, um ihr zu Hilfe zu kommen. Doch als sie den harmlosen Gegenstand erkannten, den sie entdeckt hatte, setzten sie sich beruhigt wieder: Es war eine etwa dreißig Zentimeter große, bemalte Holzfigur, die einen Soldaten mit schwarzem Hut darstellte.
    »Das ist ein Nussknacker«, erläuterte Vincent ihr.
    Unerklärlicherweise sah sie noch immer entsetzt drein, wagte sich aber vorsichtig näher, um die Figur zu betrachten. »Was ist seine Aufgabe?«
    Landon kam zu ihr, öffnete die Kiefer der Holzfigur, steckte eine Nuss, die dabeilag, hinein und drückte die Kiefer wieder zusammen. Dann holte er die geöffnete Nuss heraus und zeigte sie ihr. »Hier, siehst du? Er knackt Nüsse.«
    Wie gebannt fixierte sie die Figur. Dann zog sie mit dem Zeigefinger eine imaginäre Linie über ihren Hals. »Tod.«
    Landon lachte, so dass Vincent überrascht aufblickte. Er hatte seinen Freund nicht mehr laut lachen hören, seit dieser aus dem Krieg zurückgekehrt war. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Nun, dieses Ding sieht wohl durchaus wie eine Art Guillotine mit bösartigem Gesicht aus.«
    »Böse«, verkündete sie mit einem Nicken.
    Offenbar hatte sie die Lust verloren, weitere Geschenke zu untersuchen, denn sie kam zu Vincent und setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches – genau dorthin, wo Landon sie gestern Nacht genommen hatte. »Was ist deine Aufgabe?«
    »Ich vermute, damit fragst du nach meiner beruflichen Betätigung? Ich arbeite mit Gesetzen.«
    »Gesetze.«
    »Ein System aus Anweisungen, die festlegen, wie Menschen leben und miteinander umzugehen haben. Die Regeln unserer Gesellschaft hier basieren auf dem
Codex Iustinianus.
Das ist eine sehr alte Sammlung römischen Rechts, mit der man versuchte, präzise und klar verständliche Regeln des Herrschens festzulegen.«
    »So wie dein Körper meinen beherrscht hat … vorher.«
    Ihre rasche Auffassungsgabe überraschte ihn. »Ja, so in der Art.«
    »Welche Regeln gelten jetzt zwischen uns?«, fragte sie.
    Er rutschte ein wenig im Sessel herum, da ihm angesichts der Richtung, in die ihre Fragen gingen, zunehmend unbehaglich wurde. »Sie verändern sich. Wir müssen sie so ändern, dass sie mit unseren Wünschen übereinstimmen.«
    Sie beugte sich näher zu ihm. »Dass sie mit unseren Wünschen übereinstimmen? Oder mit deinen?«
    Hilfesuchend sah er zu Landon hinüber, doch dieser hob nur sein Buch höher, um sein Gesicht dahinter zu verbergen. Vincent hatte schwer den Eindruck, dass er versuchte, nicht laut loszulachen.
    »Nun, beides, nehme ich an.«
    Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. »Wie bist du zu der Wahl deiner Aufgabe gekommen?«
    »Ich glaube, das begann mit meinem Talent für Rätsel und Labyrinthe. Sich durch die Feinheiten des Rechtswesens zu arbeiten, ist oft sehr ähnlich, wie ein Rätsel zu lösen. Man wendet sich den Dingen zu, die man gut kann.«
    Sie schien verwirrt.
    Er beäugte sie argwöhnisch. »Es ist seltsam, welche Dinge du verstehst und welche nicht.«
    Sie nickte. »Seltsam.«
    »Es ist auch seltsam, dass du perfekte vollständige Sätze sprechen kannst, wenn es deinem Zweck dienlich ist.«
    »Ja!«, rief sie aus, plötzlich aufgeregt. »Mein Zweck. Was ist er?«
    Er starrte sie ratlos an. »Frag Landon! Ich glaube, er kann dir eher darauf antworten, denn ich bin im Augenblick zu sehr mit Gedanken an die Anderwelt und mein morgiges Treffen dort beschäftigt.«
    Sie wandte sich Landon zu, der sich mit beunruhigter Miene im Sessel aufrichtete. »Was ist meine Aufgabe?«, wollte sie wissen.
    Vincent hielt den Kopf unten und überließ es Landon, mit der Situation fertig zu werden.
    »Alles, was du möchtest.«
    Das schien sie zu verärgern. »Was ist
deine
Aufgabe?«
    »Ich pflege die Weinreben hier auf dem Gut«, antwortete Landon.
    »Warum?«
    »Weil das meiner Neigung entspricht, denke ich.«
    »Warum?«
    »Weil ich gern Dinge zum Wachsen bringe. Wir alle hier auf dem Gut arbeiten auf dasselbe Ziel hin: dieses Land zu erhalten, um das Erbe Satyrs, die Weinreben und das Portal zu schützen.«
    »Das eben waren mehr Informationen, als jeder andere in den Wochen, seit er wieder hier ist, aus ihm herausbekommen konnte«, bemerkte Vincent. »Vielleicht liegen deine besonderen Fähigkeiten ja auf dem Gebiet der Befragung.«
    »Befragung?« Sie verzog wieder verwirrt das Gesicht.
    »Ich scherze nur, Cara. Landon und ich hatten unser ganzes bisheriges Leben lang Zeit, um herauszufinden, was
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