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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Chinin, viel Flüssigkeit, eine Diät aus heißer Brühe und Zwieback und immer schön zudecken, um die Entzündung auszuschwitzen. Die nächsten zwei Wochen absolute Bettruhe, denken Sie nicht im Traum daran, auf irgendeine Reise oder auch nur bis zur nächsten Ecke zu gehen. Sie wissen gut, dass das Wechselfieber den Organismus zerrüttet.«
    Nicht nur zwei, sondern drei Wochen lang zwangen ihn Fieberanfälle und Schüttelfrost nieder. Er nahm acht Kilo ab, und als er endlich aufstehen konnte, sank er nach wenigen Schritten wieder erschöpft zu Boden, in einem Zustand der Schwäche, wie er ihn niemals zuvor gekannt hatte. Doktor Salabert blickte ihm fest in die Augen und warnte ihn griesgrämig und mit Grabesstimme:
    »In Ihrer Verfassung wäre es selbstmörderisch, sich auf diese Expedition einzulassen. Ihr Körper ist so ausgelaugt, dass Sie nicht einmal die Überquerung der Kristallberge aushalten würden. Und erst recht kein wochenlanges Kampieren unter freiem Himmel. Sie würden noch nicht einmal bis Mbanza-Ngungu kommen. Es gibt schnellere Arten, sich umzubringen, Herr Konsul, ein Pistolenschuss in den Mund, zum Beispiel, oder eine Spritze mit Strychnin. Sie können auf mich zählen, sollten Sie so etwas brauchen. Ich habe schon einigen geholfen, die letzte Reise anzutreten.«
    Roger telegrafierte dem Foreign Office, sein Gesundheitszustand zwinge ihn, die Expedition nochmals zu verschieben. Dann machte die Regenzeit Fluss und Wälder unpassierbar, so dass die Reise ins Innere des Unabhängigen Staates noch weitere Monate warten musste, die schließlich zu einem Jahr wurden. Ein ganzes Jahr, in dem er sich langsam von dem Wechselfieber erholte, sich bemühte, sein altes Gewicht zurückzuerlangen, wieder anfing, Tennis zu spielen, zu schwimmenund sich mit Bridge und Schachpartien die langen Abende zu vertreiben, nachdem er tagsüber die langweiligen Konsulatspflichten absolviert hatte: Buch über die an- und ablegenden Schiffe zu führen, über die von den antwerpischen Händlern ausgeladenen Waren – Gewehre, Munition, Peitschen, Wein, Heiligenbildchen, Kruzifixe, Glasperlenketten – und die nach Europa ausgeführten Waren – mächtige Kautschukbündel, Elfenbein und Tierfelle. Das war der Tauschhandel, der in seiner jugendlichen Fantasie die Kongolesen vor Kannibalismus und den arabischen Sklavenhändlern aus Sansibar erretten, der ihnen die Tore zur Zivilisation öffnen sollte!
    Drei Wochen lang fesselte ihn also das Fieber mit zyklisch wiederkehrenden Delirien ans Bett. Er schluckte dreimal täglich das von Charlie und Mawuku in Kräutertee geträufelte Chinin – ansonsten vertrug sein Magen nur Brühe und etwas gekochten Fisch oder Huhn – und spielte ein wenig mit seiner Bulldoge John, seinem treuesten Gefährten. Er konnte sich nicht einmal auf ein Buch konzentrieren.
    Während dieser erzwungenen Untätigkeit dachte Roger oft an die Expedition seines Helden Henry Morton Stanley zurück, an der er im Jahr 1884 teilgenommen hatte. Sie waren durch den Urwald gezogen, durch zahllose Eingeborenendörfer gekommen, hatten auf Lichtungen kampiert, umgeben von Wällen aus Bäumen, hinter denen die Affen kreischten und Raubtiere brüllten. Eine glückliche Erregung hatte ihn erfüllt, ungeachtet der Moskitos und anderer Insekten, gegen die sie sich vergeblich mit Kampfer einrieben. Er schwamm in Lagunen und Flüssen von unbeschreiblicher Schönheit, ohne Furcht vor Krokodilen, so überzeugt war er nach wie vor, dass alles, was mit dieser aus vierhundert afrikanischen Trägern, Führern, Helfern und etwa zwanzig Weißen – Engländern, Deutschen, Flamen, Wallonen und Franzosen – bestehenden Unternehmung und natürlich mit Stanley selbst zusammenhing, eine Vorhut des Fortschritts bildete.
    Jahre später nun empfand er in seinen Fieberdelirien eine vage Scham darüber, wie blind er damals gewesen war. Anfangswar er sich noch nicht einmal über das Ziel dieser Expedition im Klaren gewesen, die von Stanley geleitet und vom belgischen König finanziert worden war, den er damals natürlich – wie die gesamte westliche Welt – für den großen humanitären Monarchen gehalten hatte.
    Ein Jahr später sollten die Großmächte Leopold II. auf der Berliner Kongo-Konferenz von 1885 den Kongo-Freistaat mit seinen über zweieinhalb Millionen Quadratkilometern – fünfundachtzig Mal so groß wie Belgien – überlassen, doch der belgische König hatte die Verwaltung des ihm zugedachten Gebietes längst übernommen,
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