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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee
Autoren: Susanne Mischke
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Wege und Rasenflächen des kommunalen Friedhofs Hannover-Stöcken
sauber zu halten. Sauber von Müll, für das Laub und das Unkraut sind die
Gärtner zuständig, das könnte er alleine gar nicht schaffen. Im Winter war
wenig zu tun, aber nun häufen sich die Hinterlassenschaften der Besucher von
Tag zu Tag: leere Flaschen – die mit Pfand drauf nimmt er natürlich mit –,
Blumentöpfe, ausgebrannte Windlichter, Zigarettenschachteln, Plastiktüten,
Verpackungen von Schokoriegeln, gebrauchte Kondome – und das, obwohl die Nächte
noch kalt sind.
    Zehn nach neun, die Sonne gewinnt an Kraft. Zeit für eine
Frühstückspause. Er nähert sich dem Ehrengrabmal für die Opfer des
Massenmörders Fritz Haarmann. Viel kann da nicht unter dem Efeu liegen, denkt
sich Schmiedel. Ein paar Knochen höchstens, die man aus der Leine oder der Ihme
gefischt oder im Hinterhof der Roten Reihe Nr. 5
ausgebuddelt hat, dem Wohnhaus des Ungeheuers.
    Das Denkmal, ein großer Granitstein, hat die Form eines dreiteiligen
Flügelaltars. Auf der mittleren Tafel, die ein Rundbogen ziert, ist das Relief
einer Schale mit Feuer zu sehen sowie eine geknickte Rose. Dazwischen findet
sich die Inschrift: Dem Gedächtnis unserer lieben, von
September 1918 bis Juli 1924 verstorbenen Söhne.
    Jedes Mal, wenn Schmiedel die Inschrift liest, stört er sich an dem
Wort verstorbenen . Warum hat man nicht ermordeten geschrieben? Auf den beiden äußeren Tafeln sind
die siebenundzwanzig Namen der Opfer aufgezählt. Haarmann selbst ist am 15. April 1925 im Gerichtsgefängnis
hingerichtet worden, mit dem Fallbeil, früh um sechs. Das hat Schmiedel im
Stadtarchiv nachgelesen.
    Als er nun vor dem Grabmal steht, bemerkt er etwas Unförmiges, das
oben auf dem rechten Steinflügel liegt. Er tritt näher heran. Das ist ein
Klumpen Fleisch. Unglaublich, was man hier so alles findet. Kürzlich lagen ein
totes Huhn und etliche Kerzenstummel auf einem Grab. Weiß der Teufel, welche
Irren sich hier nachts herumtreiben. Aber wer legt einen rohen Fleischbatzen
auf ausgerechnet diesen Grabstein? Sollte das ein makabrer Scherz sein, eine
Anspielung? Die meisten Überreste von Haarmanns Opfern sind ja bekanntermaßen
in den Mägen seiner Zeitgenossen gelandet. Wie ging gleich noch das Lied?
    Â 
    Warte, warte nur ein Weilchen,
    bald kommt Haarmann auch zu dir,
    mit dem kleinen Hackebeilchen,
    macht er Schabefleisch aus dir.
    Aus den Augen macht er Sülze,
    aus dem Hintern macht er Speck,
    aus den Därmen macht er Würste
    und den Rest, den schmeißt er weg.
    Harte Zeiten, die Zwanziger – die Stadt ein stinkender
Moloch, voller Gesindel, Taschendiebe, Schmuggler, Nutten, Schwuchteln. Dazu
Inflation, Wohnungsnot, und Tausende arbeitslos. Da ist man froh um jeden
Brocken Fleisch und fragt nicht lange nach.
    Oder hat hier ein Raubvogel seine Beute verloren? Schmiedel
überwindet seinen Ekel und studiert den Klumpen genauer. Blut ist da jedenfalls
keines dran. Auch kein Stück Fell oder Federn. Schieres Fleisch, je nach
Lichteinfall gräulich bis violett schimmernd. Und es stinkt. Eine Fliege
schwirrt ihm um den Kopf, er schüttelt sich. Her mit der Abfallzange. Was immer
das ist – am besten schnell weg damit. Er hält inne, als er einen Motor
knattern hört. Edwin, genannt der rasende Ede, kommt auf seinem Rasentraktor
über die Wiese hinter dem Denkmal getuckert. Schmiedel winkt ihn heran. Der rasende
Ede stellt sein Gefährt ab, und zu zweit begutachten sie den Fund. Dann
schnauft Edwin in seinen Schnurrbart, kramt sein Mobiltelefon hervor und meint:
»Ich glaub, ich ruf lieber mal die Bullen.«
    Fernando Rodriguez zupft welke Blätter von der Zimmerpflanze
und wirft sie in den Papierkorb. Zufrieden schaut er sich in dem kleinen Büro
um. Besser geht es nicht. Zwar liegen auf seinem Schreibtisch noch Akten,
Zettel und Stifte, aber schließlich arbeitet er ja hier.
    Â»Sehr brav, sehr ordentlich, die Mama wäre begeistert.« Mit
verschränkten Armen lehnt Oda Kristensen im Türrahmen und betrachtet den Raum,
den sie drei Jahre lang mit Fernando Rodriguez geteilt hat. Ihren Schreibtisch
hat sie schon gestern leer geräumt und die Sachen in ihr neues Büro gebracht,
auf der anderen Seite des Flurs. »Endlich ein eigenes Büro. Zwar winzig, aber
meins«, hat sie frohlockt. Auch Fernando ist nicht unglücklich darüber. So gut
er
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