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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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gestellt hatte, ins Wanken und ließ ihn nach vorne stolpern. Seine Umhängetasche traf Gunillas Kopf, und sie drehte sich um.
    Sie sieht aus wie früher, doch irgendwie auch anders, dachte er, als er ihren erschreckten, aber gleichzeitig aufgebrachten Gesichtsausdruck sah. Wie oft hatte er sie so gesehen, das Gesicht schräg nach hinten gewandt? Damals hatte etwas Lässiges und Spöttisches in ihrer Miene gelegen, als wollte sie denjenigen einladen, den sie ansah, aber ihn, Vincent, hatte sie kaum wahrgenommen und nie zu etwas eingeladen. »Zu nichts«, murmelte er.
    Ihm war schlecht. Steig aus, damit ich dich nicht mehr sehen muß! Die Iranerin vor ihm hatte Schuppen. Der Bus schaukelte weiter. Gunilla war dick geworden. Ihre Lässigkeit war einer bleiernen Müdigkeit gewichen.
    Steig aus! Vincent Hahns Augen starrten auf ihren Kopf. Als der Bus an der Stelle vorbeifuhr, wo in seiner Kindheit der Schrotthandel von Uno Lantz gelegen hatte, heute jedoch ein modernes Bürogebäude stand, kam ihm die Idee. So krank, so verdammt krank, dachte er, aber auch so verdammt schön.
    Er lachte auf. Die Iranerin drehte sich zu ihm um und lächelte.
    »Du hast Schuppen«, sagte Vincent.
    Die Iranerin nickte und lächelte breiter.
    »Schuppen«, sagte Vincent noch lauter.
    Gunilla drehte sich ebenso um wie eine Handvoll der übrigen Fahrgäste. Vincent senkte den Kopf. Er schwitzte. Beim Buscafé stieg er aus und blieb auf dem Bürgersteig stehen. Der Bus fuhr weiter, die Kungsgatan hinunter. Er schaute auf seine Füße. Er stieg immer zu früh aus. Ihr armen Füße, dachte er, meine armen Füße, ich Armer.
    Die Füße trugen ihn über die Bangårdsgatan zum Fluß und anschließend zur Nybron. Dort blieb er mit hängenden Armen stehen. Bloß seine Augen bewegten sich. Alle schienen es eilig zu haben. Nur Vincent Hahn konnte es ruhig angehen lassen. Er starrte in das schwarze Wasser hinab. Es war der 17. Dezember 2001.
    Wie kalt es ist, dachte er, und der Schweiß auf seinem Rücken ließ ihn erschauern.
    »Die armen Taliban«, sagte er laut. »Die armen Menschen.«
    Der Verkehr hinter ihm wurde dichter. Immer mehr Menschen bewegten sich über die Brücke. Er hob den Kopf und schaute zum Kino Spegeln hinüber. Zahlreiche Menschen hatte sich auf der Straße versammelt. Ging es um eine Protestaktion oder war ein Unglück geschehen? Eine Frau lachte laut. Es war nichts anderes als ein beliebter Film, der im Kino lief und viele Zuschauer anzog. Lachen. Wenn sie sich auf der Straße bewegten, sah es aus wie eine lachende Demonstration.
    Die Glocken des Doms schlugen sechs, und er kontrollierte seine Armbanduhr. Vincent lächelte triumphierend zur Kirchturmspitze hinauf. Die Kirchturmuhr ging fünfzehn Sekunden vor. Die Kälte – der kalte Luftzug vom Fluß ließ ihn die Straße überqueren und den Weg zum Stora Torget einschlagen.
    »Es war so schlimm, daß ich mich nicht getraut habe …«, hörte er einen Passanten sagen, und er wandte sich eifrig nach ihm um. Er hätte so gerne die Fortsetzung hören wollen. Was ist denn so schlimm, dachte er.
    Er blieb stehen und sah dem Mann nach, von dem er glaubte, daß er die Worte geäußert hatte. Bald wird es noch schlimmer, hatte er Lust zu schreien, viel schlimmer.

3
    Ola Haver hörte amüsiert lächelnd seiner Frau zu.
    »Was ist denn so komisch?«
    »Nichts«, sagte Haver vorsichtig.
    Rebecka Haver schnaubte.
    »Red weiter, ich will es hören«, sagte er und streckte sich nach dem Salzstreuer.
    Sie warf ihm einen Blick zu, als wollte sie entscheiden, ob sie wirklich weitersprechen sollte.
    »Er ist eine Bedrohung für die Volksgesundheit«, sagte sie und zeigte auf die Fotografie in der Mitarbeiterzeitung der Provinzialregierung.
    »Jetzt übertreibst du.«
    Rebecka schüttelte den Kopf, während sie erneut auf das bärtige Gesicht des Lokalpolitikers zeigte.
    Unter dem Finger möchte ich lieber nicht sein, dachte Haver.
    »Es geht um die Alten, die Schwachen in der Gesellschaft, die sich kein Gehör verschaffen können oder sich nicht trauen.«
    Das hörte er nicht zum ersten Mal, und er hatte die alte Leier allmählich satt. Er salzte erneut sein Ei.
    »Zu viel Salz ist nicht gesund«, sagte Rebecka.
    Er sah sie an, stellte den Salzstreuer ab, griff nach dem Löffel und aß schweigend den Rest des allzu hart gekochten Eis.
    Haver stand auf, deckte den Tisch ab und räumte Kaffeetasse, Untersetzer und Eierbecher in die Spülmaschine, wischte schnell die Spüle ab und löschte das
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