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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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sie schrie vor Freude fast auf, aber kein John tauchte beim Verschlag mit den Mülltonnen auf. Hatte sie sich das nur eingebildet, oder wohin war der Schatten verschwunden? Wenn man zwischen den Garagen ging, tauchte man beim Müllverschlag wieder auf, aber niemand kam. Kein John. Berit starrte in die Dunkelheit hinaus. Plötzlich erschien er wieder. Einen Moment lang hatte sie etwas gesehen. Einen Mann in grüner Kleidung, aber es war nicht John.
    Wer könnte das sein? Warum blieb er hinter dem Müllverschlag? Dann fiel ihr ein, daß es vielleicht Harrys Bruder war, der des öfteren beim Schneeräumen half. Kein John. Der Moment der Erleichterung wich einem Gefühl von Einsamkeit.
    Der Topf mit den Kartoffeln war noch lauwarm. Sie drehte die Platte mit dem Gulasch an. Unterste Stufe. Bald kommt er, redete sie sich ein und legte die Hand an den Topf.
     
    Um halb acht rief sie Lennart an. Johns Bruder ging beim fünften Klingeln an den Apparat. Er klang nüchtern. Er hatte seit Tagen nichts von John gehört.
    »Er wird schon wieder auftauchen«, sagte er leichthin, aber sie hörte Besorgnis in seiner Stimme.
    Berit konnte ihn vor sich sehen, wie er im Flur auf und ab tigerte.
    »Ich telefonier mal rum«, sagte er. »Er sitzt bestimmt irgendwo und trinkt ein paar Bier.«
    Berit verabscheute ihn für diese Worte. Ein paar Bier. Sie knallte den Hörer hin.
    Sie rief Johns Mutter an, sagte ihr jedoch nicht, daß sie schon seit mehreren Stunden auf ihn wartete. Sie hatte gehofft, daß er vielleicht dort vorbeigeschaut hatte und bei ihr hängengeblieben war. Sie plauderten ein wenig, während Berit in der Wohnung umherging.
    Um Viertel nach acht rief Lennart zurück.
    »Es war verdammt unnötig, einfach aufzulegen«, begann er, und sie hörte, daß er ein paar Bier getrunken hatte.
    »Wo kann er nur sein?« fragte sie, und jetzt brach sich ihre Verzweiflung Bahn.
    Justus kam aus seinem Zimmer.
    »Ich habe Hunger«, sagte er.
    Sie gab ihm ein Zeichen mit der Hand, daß er still sein sollte, und beendete das Gespräch mit Lennart.
    »Hast du eine Ahnung, wo der Papa sein könnte?« fragte sie.
    Sie wollte es nicht zeigen, aber die Sorge ließ sie zittern. Justus machte eine unbeholfene Geste.
    »Weiß nicht, aber er kommt sicher bald«, antwortete er.
    Berit begann zu weinen.
    »Mama, er kommt!«
    »Ja, er kommt bestimmt«, sagte sie und versuchte zu lächeln; es wurde eher eine Grimasse daraus. »Ich finde es nur so ärgerlich, wenn er nichts von sich hören läßt. Die Kartoffeln sind ganz zerkocht.«
    »Wir können ja schon mal essen, oder?«
    Plötzlich wurde sie maßlos wütend. Lag es an Justus’ Worten, die sie als eine Art Illoyalität empfand, oder war es eine Ahnung, daß etwas Schreckliches geschehen sein könnte?
    Sie setzten sich an den Küchentisch. Harry war mit dem Traktor auf den Hof zurückgekehrt, und Berit wollte das Schneeräumen erneut zur Sprache bringen, verstummte jedoch, als sie den Gesichtsausdruck des Jungen sah.
    Die Kartoffeln hatten eine Haut bekommen, und die Fleischstücke waren mürbe, aber nur lauwarm. Justus räumte schweigend den Tisch ab. Sie verfolgte seine mechanischen Bewegungen. Die zwei Nummern zu große Jeans hing um die mageren Beine und den kaum vorhandenen Po. Im Laufe des Herbstes hatte er Stück für Stück seine Art, sich zu kleiden, und den Musikgeschmack gewechselt, von englischer Popmusik, die Berit oft durchaus gefiel, zu einer wüsten und abgehackten Rapmusik, die in ihren Ohren einfach nur aggressiv klang. Der Kleidergeschmack hatte sich parallel zur Musik verändert.
    Sie schaute auf die Wanduhr. Neun. Jetzt wußte sie, daß es spät werden würde. Sehr spät.

2
    Er beobachtete die Busfahrerin. Sie fuhr zu dicht auf, beschleunigte zu schnell und mußte zu heftig abbremsen.
    »Weiber«, murmelte er unzufrieden.
    Der Bus war halbvoll. Vor ihm saß eine Ausländerin. Bestimmt eine Iranerin oder Kurdin. Manchmal kam es ihm vor, als würden im ganzen Viertel nur noch Kanaken wohnen. Drei Plätze weiter saß Gunilla. Er lächelte in sich hinein, als er ihren Nacken sah. Sie, die mit ihren langen, lockigen, hellen Haaren und ihren Augen, die unter dem Pony leuchteten, immer eine der schönsten gewesen war. Die Augen hatten Gunilla immer geheimnisvoll aussehen lassen, vor allem wenn sie lachte. Jetzt hatten die Haare all ihren früheren Glanz verloren.
    Vor dem Kreisverkehr war der Bus viel zu schnell; das heftige Bremsmanöver brachte einen Fahrgast, der sich an die Tür
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