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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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Das war irgendwie zynisch. Sie hatten eine erwachsene Tochter miteinander. Sie lebten zusammen, und doch wurde Richard nach all den Jahren nicht wirklich schlau aus ihr.
    Er wußte nicht warum, aber diese Bemerkung über ›ihre Spastis‹ gab endgültig den Ausschlag für seinen Entschluß: Am Dienstag würde er nach Berlin fahren. Er würde Britta wieder in seinen Armen halten.
    Anton reichte die Pfirsiche herum wie ein Juwelier, der dem potenten Kunden seine Edelkollektion präsentiert. Gina schwänzelte mit dem Himbeerpüree hinterher.
    Den Mocea tranken die Hornungs im Wintergarten, wie immer. Lucie nahm eine der beiden langen, dünnen Zigaretten, die sie täglich rauchte. Richard gab ihr Feuer mit einem goldenen Feuerzeug, das er ihr einmal geschenkt hatte. Es war ein kleines Ritual.
    Beide wußten, daß Angela sehr viel rauchte, viel zu viel, aber sie sprachen nicht darüber. Was nicht erörtert wurde, existierte nicht. Ein Grundsatz, der von Lucie stammte. Sie hielten sich daran.
    Am Dienstag morgen landete Richard in Berlin Tegel. Er war gelassen und eher ein wenig unzufrieden als voller glücklicher Erwartungen. Das passierte ihm häufig, wenn die Erfüllung eines Wunsches nahe war. Aber er wußte, daß sich dieser Zustand bald ändern würde.
    Seinen Körper erfüllte schon eine Vorahnung. Die geschmeidige Frau in seinen Armen würde ihn auch seine Skrupel vergessen lassen: ein Ehemann auf Abwegen!
    Lucie hatte er erzählt, er sei in Leipzig. Sein Hotel dort war bereits gebucht. Nachher wollte er von Berlin aus zu Hause anrufen und so tun, als sei er schon in Leipzig eingetroffen. Lucie würde keinen Kontrollrückruf machen. Und in zwei oder drei Tagen würde er in Leipzig erreichbar sein. So einfach sah es aus.
    Er hatte seiner Frau bisher wenig Grund zu Eifersucht und Argwohn gegeben. Die Sache mit Britta war eine Ausnahme. Bribri würde bald zurückkehren nach New York. Die Affäre war zeitlich begrenzt.
    Er rief vom Flughafen aus im Grandhotel an. Es war klüger, wenn man angemeldet erschien.
    »Bitte Zimmer drei-sechzehn!«
    »Wen möchten Sie sprechen?«
    »Frau Hugendübel.«
    »Ich verbinde.«
    Eine Zeitlang lauschte er dem Summen in der Leitung, dann meldete sich die Männerstimme wieder: »Bedaure, es meldet sich niemand.«
    Richard war etwas enttäuscht. Doch wahrscheinlich schlief Britta noch fest um diese Zeit. Er wußte so wenig von ihr.
    Er nahm ein Taxi. Im Hotel sah der Mann an der Rezeption uninteressiert ins Leere. Richard schaute im Vorbeigehen flüchtig auf das Schlüsselbrett. Die Stelle für ›316‹ schien leer zu sein. Also war sie da. Denn sie würde doch wohl den Zimmerschlüssel mit dem dicken Knopf nicht irgendwohin mitnehmen?
    Er nahm den Aufzug. Das Hotel schien noch im Schlaf zu liegen. An der Tür von 316 hing das Schild mit der Seite ›Bitte nicht stören!‹ nach oben.
    Tausend Gedankensplitter und Gefühle wirbelten ihm im Bruchteil einer Sekunde durch Kopf und Herz. Was war? Schlief sie? War ein Kerl bei ihr? War sie umgezogen? Abgereist? Wohnte vielleicht schon ein anderer Gast hier? Wollte sie ihn nicht empfangen und hatte sich deshalb verbarrikadiert, nachdem das Telefon geklingelt hatte?
    Hirngespinste. Und trotzdem: Sein Herz schlug hart. Er fühlte sich merkwürdig angespannt. Es war eher ein Fluchtinstinkt als der Wunsch nach Klarheit. Geh und kümmere dich um gar nichts. Hake die Geschichte ab. Lege sie ab unter der Rubrik ›Erinnerungen‹.
    Er klopfte. Man kehrte nicht um, das würde man sich nie verzeihen. Er horchte. Klopfte noch einmal. Gedankenlos drehte er am Türknopf. Die Tür war ja gar nicht geschlossen.
    Als er leicht dagegendrückte, öffnete sie sich zu einem Drittel und gab den Blick frei auf etwas, das Richard einen Augenblick lang nicht glauben wollte. Was er sah, mußte eine überspannte Reaktion seiner Nerven sein.
    Zwei hellgrüne Sessel waren umgekippt. Einer davon war mit Platschen roter Farbe und hellgrauem Schaum befleckt. Hinter diesem Sessel lugten auf dem grauen Velours des Bodens zwei Beine in schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen hervor. Solche Beine gab es in Scherzartikelgeschäften zu kaufen. Richard wußte das, weil er einmal gegen Abend beim Joggen im Park selber beinahe darauf hereingefallen war.
    Die Beine hatten in der Dämmerung aus dem Gebüsch auf den Weg hinausgeragt. Er hatte sie für die Beine eines Toten gehalten und schon im Lauf gestockt, als er Kichern und Prusten von Kinderstimmen aus dem Gebüsch hörte. Er war
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