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Der Tote am Steinkreuz

Der Tote am Steinkreuz

Titel: Der Tote am Steinkreuz
Autoren: Peter Tremayne
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Rinder geraubt worden, und Fürst Eber hatte ihn angewiesen, vor jedem Melken die Herde zu kontrollieren. Es kränkte die Ehre eines Fürsten, wenn jemand es wagte, auch nur ein Kalb aus seiner Herde zu stehlen, und Eber war außerdem wütend darüber, daß Rinderdiebe den Frieden seines Landes störten. Seine Krieger hatten die ganze Gegend nach den Räubern abgesucht, doch ohne Erfolg.
    Menma näherte sich der mächtigen dunklen Festhalle, einem der wenigen großen Steingebäude innerhalb des alten rath. Das andere steinerne Gebäude war Pater Gormáns Kapelle. Die Ställe lagen auf der anderen Seite des Runddorfs gleich hinter dem Gästehaus. Menma mußte dorthin im Halbkreis hinter den hölzernen Anbauten an der steinernen Halle entlanggehen, in denen sich die Privatzimmer des Fürsten und seiner Familie befanden. Menma blickte sie neiderfüllt an. Eber würde noch den ganzen Morgen schnarchend im Bett liegen.
    Menmas Bart verbarg sein lüsternes Grinsen. Er fragte sich, ob wohl in dieser Nacht jemand Ebers Lager teilte. Dann runzelte er ärgerlich die Stirn. Warum Eber und nicht er selbst? Was war so Besonderes an Eber, daß er Reichtum und Macht besaß und Frauen in sein Bett locken konnte? Welches Schicksal hatte ihn selbst zum Pferdewärter bestimmt? Warum …?
    Plötzlich blieb er stehen und hielt den Kopf schief.
    Die Dunkelheit schien ohne jeden Laut. Der rath lag noch im Schlummer. Von hoch oben in den Bergen durchbrach das langgezogene Heulen eines Wolfs die Stille. Doch das war es nicht, was ihn den Schritt verhalten ließ. Es war ein anderes Geräusch. Ein Ton, den er nicht einordnen konnte.
    Er wartete einen Moment, aber es blieb still. Er wollte das nur halb vernommene Geräusch schon als ein Spiel des Windes abtun, als er es wieder hörte.
    Ein leises, klagendes Stöhnen.
    War das wirklich der Wind?
    Menma bekreuzigte sich plötzlich und erschauerte. Gott wende alles Übel von mir ab! War es etwa einer von denen, die im Berge wohnten? Von den sídh -Leuten , den Zwergen, die nach Seelen suchten und sie in ihre dunklen Höhlen schleppten?
    Da ertönte ein plötzlicher Schrei, nicht laut, aber durchdringend genug, um Menma zusammenfahren zu lassen. Sein Herz schlug schneller. Dann hörte er wieder das leise Stöhnen, diesmal etwas lauter und länger.
    Menma schaute sich um. Nichts regte sich zwischen den dunklen Schatten der Gebäude. Niemand anders schien den Laut vernommen zu haben. Er versuchte ihn zu orten. Er kam aus der Richtung von Ebers Zimmern. Er klang zwar geisterhaft, doch Menma erkannte nun, daß es eine Menschenstimme war. Erleichtert atmete er auf, denn so grob seine Sicht auf die Welt auch war, er hielt es nicht für geraten, sich mit den sídh -Leuten anzulegen, wenn sie darauf ausgingen, Seelen zu stehlen. Rasch sah er sich um. Das Gebäude schien dunkel und still. War Eber krank? Unschlüssig runzelte er die Stirn. Eber war sein Fürst, und was auch kam, Menma hatte eine Verpflichtung gegenüber seinem Fürsten. Diese Verpflichtung ließ ihn selbst seine Verbitterung nicht vergessen.
    Vorsichtig ging er zur Tür von Ebers Wohnung und klopfte leicht an.
    »Eber? Bist du krank? Brauchst du Hilfe?« rief er leise.
    Es kam keine Antwort. Er klopfte noch einmal an, diesmal etwas stärker. Als er wieder keine Antwort erhielt, nahm er seinen Mut zusammen und hob die Klinke an. Die Tür war nicht verschlossen, was er auch erwartet hatte. Niemand verschloß seine Tür im rath des Fürsten von Araglin. Er trat ein. Ohne Mühe gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Das Zimmer war leer. Er wußte, daß Ebers Wohnung aus zwei Zimmern bestand. Das erste, in dem er sich befand, hieß das »Gesprächszimmer« und war das private Empfangszimmer des Fürsten, in dem er besondere Gäste vertraulich bewirtete, fern von der Öffentlichkeit der Festhalle. Dahinter lag das Schlafzimmer des Fürsten.
    Nachdem Menma festgestellt hatte, daß das erste Zimmer leer war, wandte er sich dem zweiten zu.
    Sogleich bemerkte er einen Lichtstreifen unter der Tür. Dann fiel ihm ein anschwellendes Stöhnen auf, das aus dem Zimmer drang.
    »Eber!« rief er laut. »Fehlt dir etwas? Ich bin’s, Menma der Pferdewärter.«
    Es kam keine Antwort, und das Stöhnen wurde nicht leiser.
    Er ging zur Tür und klopfte heftig an.
    Nach kurzem Zögern trat er ein.
    Auf dem Tisch brannte eine kleine Lampe. Menma blinzelte rasch, um die Augen an das Licht zu gewöhnen. Er spürte, daß jemand zusammengekauert neben dem Bett
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