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Der Todeskanal

Der Todeskanal

Titel: Der Todeskanal
Autoren: Isaac Asimov
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an seine Augen, die sie so verlangend angesehen hatten, als er neben ihr gestanden hatte, den Cocktail in der Hand. Georgette hatte er gar nicht beachtet. Sie wollte nicht wissen, was danach geschah. Sie wollte nichts anderes kennen als ihr wirkliches, wunderschönes Leben.
    New Haven zog vorbei.
    »Ich will es versuchen, Livvy«, sagte Norman.
    »Wenn du willst, Norman.« Sie entschied mit wilder Entschlossenheit, daß es keine Rolle spielen würde. Ihre Hand umklammerte seinen Arm, und sie dachte: »Kein ›Was, wenn‹ auf der ganzen Welt kann mich von ihm trennen.«
    »Könnten wir es noch einmal sehen?« fragte Norman den kleinen Mann.
    Im Schein des gelben Lichtes dauerte es etwas länger. Sanft klärte sich die milchige Glasscheibe, wie wenn ein milder Wind Wolken zerteilte.
    »Da stimmt irgend etwas nicht«, sagte Norman. »Das sind ja wir beide, wie wir hier sitzen.«
    Er hatte recht. Zwei kleine Gestalten saßen in einem Zug in Fahrtrichtung. Das Feld wurde größer – sie tauchten hinein. Normans Stimme verhallte.
    »Es ist derselbe Zug«, sagte er. »Das Fenster da hat genau denselben Sprung …«
     
    Livvy war irrsinnig glücklich.
    »Ich wollte, wir wären schon in New York«, sagte sie.
    »Es dauert nur mehr eine knappe Stunde, Liebling«, sagte er. »Gib mir einen Kuß.« Er beugte sich über sie.
    »Nicht hier, Norman! Die Leute--«
    Norman lehnte sich zurück. Er sagte: »Wir hätten uns ein Taxi nehmen sollen.«
    »Von Boston nach New York?«
    »Sicher. Das wäre mir das Alleinsein mit dir wert gewesen.«
    Sie lachte.
    »Du bist wirklich komisch, wenn du versuchst, den glühenden Liebhaber zu spielen.«
    »Ich spiele nicht.« Seine Stimme klang plötzlich ernst.
    »Immerhin habe ich fünf Jahre auf diesen Augenblick gewartet.«
    »Ich auch.«
    »Warum nur habe ich dich nicht zuerst getroffen, vor Georgette? So eine Zeitverschwendung!«
    »Die arme Georgette«, seufzte Livvy.
    Norman machte eine ungeduldige Handbewegung.
    »Mach dir keine Sorgen um sie, Livvy. Wir sind nie sonderlich gut miteinander ausgekommen. Sie ist froh, mich los zu sein.«
    »Ich weiß. Deshalb sage ich ja ›arme Georgettes Sie tut mir leid, weil sie nicht imstande war, ihr Glück zu würdigen.«
    »Nun, ich hoffe, du kannst es wenigstens halb so würdigen, wie ich es tue.«
    »Würdest du dich sonst auch von ihr scheiden lassen?«
    »Nur über meine Leiche«, sagte Norman.
    »Es ist alles so sonderbar. Ich muß immer denken, was wäre wohl geschehen, wenn du damals auf der Party nicht den Cocktail über mein Kleid gegossen hättest. Du wärst mir nicht nachgegangen, du hättest es mir nicht gesagt, ich hätte es nicht gewußt. Alles wäre ganz anders gekommen – alles.«
    »Unsinn. Es wäre alles ganz genauso gekommen. Es wäre eben ein anderes Mal passiert.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Livvy sanft.
     
    Das Rattern des Zuges drang wieder in ihr Bewußtsein. Die Lichter der Großstadt flackerten vor den Fenstern. Auf dem Gang drängten sich die Fahrgäste und schoben ihr Gepäck vor sich her. Livvy saß starr wie ein Fels in der Brandung, bis Norman sie schüttelte.
    Sie sah ihn an und sagte: »Die Puzzle-Spiel-Teilchen passen doch zusammen.«
    »Ja.«
    Sie legte ihre Hand auf die seine.
    »Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich dachte, weil wir einander gehören, müßten auch alle ›Was, wenns‹, die der eine vom anderen nur denken kann, genauso dazu gehören.
    Aber diese Möglichkeiten gehen uns nichts an. Die Wirklichkeit genügt vollkommen. Verstehst du, was ich meine?«
    Er nickte.
    »Es gibt Millionen von ›Was, wenns‹ auf der Welt. Ich will nie mehr wissen, was passiert wäre, wenn … Ich werde nie mehr sagen: »Was wäre, wenn‹ …«
    »Beruhige dich jetzt, mein Liebes«, sagte Norman. »Da ist dein Mantel.« Er griff nach den Koffern.
    »Wo ist Mr. Wenn?« fragte Livvy plötzlich.
    Langsam wandte sich Norman dem leeren Sitz zu. Beide blickten sich im Wagen um.
    »Vielleicht ist er in den nächsten Wagen gegangen.«
    »Aber warum? Da hätte er doch seinen Hut nicht liegen lassen.« Sie bückte sich und griff nach dem Hut.
    »Welchen Hut?« fragte Norman.
    Livvys Finger griffen ins Leere.
    »Er war hier – beinahe hätte ich ihn berührt.« Sie richtete sich auf. »Oh, Norman, was wäre denn, wenn …«
    Norman legte einen Finger auf ihren Mund.
    »Liebling …«
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Komm, ich helfe dir mit dem Gepäck.«
    Der Zug tauchte in den Tunnel unterhalb der Park Avenue, und das
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