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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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Kellertreppe zu finden. Vom Flur aus sah er jedoch zunächst durch eine offene Tür ein breites Ehebett, auf dem schnarchend ein junger Mann lag. Das war eindeutig der Kerl vom Ausweisfoto.
    Tim schlich weiter und fand nach drei Versuchen die Tür, die zum Keller führte. Langsam, aber mit einem lauten Quietschen öffnete er sie und suchte mit zitternden Fingern nach einem Lichtschalter.
    »Hey, wo kommscht du d'n her, hä?«, hörte er plötzlich hinter sich.
    »Ich komme aus den Bergen«, entfuhr es Tim spontan. Ein Dialog aus »Gothic 2«, passte ja ganz gut auf einen Schweizer im Saarland.
    Orhan Yesilyurt schob Tim zur Seite und versperrte rülpsend die Treppe. Er wankte leicht.
    Tims Puls raste. Was sollte er tun? Er hatte schließlich keine Beretta M9 wie in »Call of Duty«. Das hier war real.
    »Hinter dir, ein dreiköpfiger Affe!«, rief er schließlich laut, wie einst Gybrush Threepwood in »Monkey Island«.
    Yesilyurt drehte sich hektisch um, trat mit einem Fuß ins Leere, grunzte erschrocken und stürzte polternd die Treppe hinab. Tim rannte hinterher und kniete unten neben dem offenbar Bewusstlosen. Erleichtert stellte er fest, dass der Mann zwar flach, aber hörbar atmete.
    »Es ist nicht der Sturz, der dich tötet, sondern der plötzliche Stopp am Boden«, sagte er betont laut und mit tiefer Stimme, in der Hoffnung, dass Franziska irgendwo in der Nähe das coole Zitat aus »Chronicles of Riddick« hören würde.
    Er fand sie schließlich in einem großen Abstellraum. Einige ältere Computer und Monitore in einer Ecke waren offenbar mit einem Baseballschläger, der auf der Erde lag, zertrümmert worden. Ihr Ex-Freund hatte ihr den Mund mit Paketband verklebt und ihr einen Kopfhörer aufgesetzt. Sie hatte also gar nichts von Tims Heldentat mitbekommen. Und sie sah auch nicht so aus wie Lara Croft, sondern war genau so blass und leicht übergewichtig wie Tim selbst.
    Aber was machte das schon? Tim wählte »110« und löste ihre Fesseln.

    11:03 Uhr
    Die Streifenwagenbesatzung kümmerte sich zunächst um den bewusstlosen Orhan Yesilyurt und rief über Funk einen Notarzt. Dann durchsuchten sie den Keller. In einem Raum fanden sie einen jungen Mann und eine junge Frau, die sich stumm und weinend in den Armen lagen.

Sibylle Zimmermann Berlin connections
    Ich hätte den Stecker nicht ziehen sollen.
    Ich frage mich manchmal, warum Menschen zu Mördern werden. Normalerweise, wenn man Probleme hat mit jemandem, also angenommen du hast einen Typen, der schlägt dich; als normaler Mensch, wenn alles Reden und Drohen nichts hilft, gehst du irgendwann. Verlässt ihn und tschüss.
    Manche Menschen aber morden dann. Es gibt ja solche Gutachten vor Gericht und meist ist es eben die Kindheit. Die schwere Kindheit. Wenn du aber genau hinsiehst, dann hat fast jeder eine schwere Kindheit. Und die morden nicht alle. Ich, zum Beispiel, wäre prädestiniert. Mutter früh abgehauen (und zwar für immer! nie wieder aufgetaucht!), geliebter Pappi liefert seine kleine Prinzessin (mich), die sich wie eine Ertrinkende an ihn klammert, bei der mürrischen Oma ab und sagt, nächste Woche komm ich wieder mein Schatz und taucht erst nach einem geschlagenen Jahr wieder auf. Verspricht ihr dann aber, sie auf einen schönen Urlaub mitzunehmen, nur sie beide, und schleicht sich am nächsten Morgen, als seine Prinzessin noch schläft, aus dem Haus. Und ist weg!
    Verarsche. Volle Verarsche, die ganze Kindheit hindurch.
    Ich glaube, wenn's danach geht, nach der fucking Kindheit, meine ich, da gäb's Ermordete ohne Ende.
    Aber ich habe trotz allem erst kürzlich mein eigenes kleines Paradies gefunden. Ja, das gibt's! Gefunden und auch selbst mit erschaffen. Trotz Kindheit.
    Mark. Übers Internet gefunden und plötzlich passte alles. Ich fand ihn gutaussehend, aber das war's nicht allein. Zumindest nicht in erster Linie. Es war viel mehr. Wir waren uns so verdammt ähnlich. Beide Ordnungsfanatiker und beide hochkreativ. Passt eigentlich nicht zusammen, aber war so. Kreativ, vor allem beim Sex.
    Über seinem Bett hängt ein Netz, so ein originales Fischernetz mit Muscheln drin und Seesternen. Voll der 70er Jahre Retrolook. Ich glaube, mein Vater hatte auch mal so ein Ding über dem Tresen in seiner Bar hängen. Hab ich natürlich nicht im Original gesehen, nur so auf Fotos, als ich mich irgendwann überwand und seine Sachen durchsah.
    Und damit es auch gemütlich war bei Mark, Stimmung und so, hat er eine Lämpchengirlande in das Netz gewebt
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