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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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aber er holte mich auf halbem Wege ein: »Noch eins, Onkel Paul«, sagte er zögernd, »könntest du bei dieser Gelegenheit mit Vimmy nicht auch über mich sprechen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ach, ich meine, es ist doch vollendeter Quatsch, daß ich mich noch immer auf der Penne herumdrücke und das Abitur machen soll... Wozu eigentlich? Und überhaupt jetzt, wo kein Mensch sagen kann, wie lange Paps noch in der Klinik bleiben muß. — Weißt du, ich möchte arbeiten, ich möchte etwas tun! Schau mal, Hansi ist achtzehn und war schon ein Jahr in London und ein halbes Jahr in Paris... Und ich armes Schwein büffle Latein und plage mich mit der verdammten Mathematik herum und soll später Kunstgeschichte studieren... So ein Blödsinn! Paps hat nie Kunstgeschichte studiert und hat das, was Professoren im Kopf haben, im kleinen Finger. Na, stimmt es vielleicht nicht?«
    »Bei deinem Vater mag es stimmen, aber ob es bei dir stimmt?«
    »Ach, bitte, Onkel Paul«, sagte er flehentlich, »bring es doch Vimmy auf irgendeine geschickte Tour bei, daß sie mich hierläßt, wo ich nun schon mal daheim bin.«
    »Ich will sehen, was sich machen läßt, Alex«, murmelte ich schwach, »ich fürchte nur, wir werden damit kein Glück haben...«
    »Versuch es wenigstens, Onkel Paul!« bat er und brachte mich zur Haustür. »Soll ich deinen Wagen einstellen?«
    »Danke, es ist nicht nötig, ich muß heute noch zurückfahren. Ich habe eine Verabredung.«

    Das Haus war im Jahre 1656 erbaut worden. Die Zahl, noch deutlich zu erkennen, stand über einem verwitterten Wappen in einer roten Porphyrplatte, die über dem Türstock in das Mauerwerk eingelassen war. Die Bauern von Achenreuth nannten es das Georgischlößl, weil eine verwitterte, aber immer noch wunderschöne barocke Holzfigur des drachentötenden Heiligen in einer kupferüberdachten Mauernische neben dem Eingang stand. Ursprünglich hatte das Haus den Grafen von Perting als Jagdschlößchen gedient, deren Geschlecht schon im Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts im Mannesstamm erlosch. Dann hatten die Achenreuther Pfarr-herren mehr als zweihundert Jahre lang darin gewohnt; aber als neben der Kirche ein neues Pfarrhaus errichtet wurde, hatten sie es jenem Maler verkauft, unter dessen Händen das Anwesen völlig verwahrloste, bis Textor das Schlößl erwarb und mit ziemlich bedeutenden Mitteln renovierte. Allein die Anlage der Zentralheizung kostete ein kleines Vermögen, denn die Mauern, die dabei zu durchbrechen waren, bestanden zum Teil aus Granitblöcken und waren meterdick. Zu Pertach gehörten zwölf Tagwerk Wiesengründe, die Textor an seinen Nachbarn Zaunboss verpachtet hatte, der nach seinem Hof der Lacherbauer genannt wurde. Ferner bestand der Besitz aus vierzehn Tagwerk Wald und einem kleinen See. An den Fischrechten waren die Achenreuther Pfarrherren beteiligt, denn der See war reichlich mit Aalen, Zandern, Karpfen und Schleien besetzt, die ihren leicht moorigen Geschmack verloren, wenn man sie, bevor sie in den Kochtopf kamen, ein paar Tage lang in frischem Wasser hielt.
    Wenn man von Achenreuth kam, die kleine Anhöhe gewann und Pertach plötzlich vor sich liegen sah, dann verhielt man unwillkürlich still. Den Horizont säumten die Zinnen der Kampenwand, die bizarre Silhouette des Wilden Kaiser und der wuchtig-stumpfe Kegel des Wendelsteins. Und im Scheitelpunkt des riesigen Dreiecks aus dunklen Wäldern, saftigen Weiden, fruchtbaren Kornäckern und blitzenden Wasserspiegeln lag, von hohen Tannen und mächtigen Ahornbäumen überschattet, Pertach — von der Höhe aus einem kleinen Märchenschloß tatsächlich ähnlich. Das alte Jagdhaus der Pertinger Grafen und die beiden Stallgebäude, die die Achenreuther Pfarrherren in späteren Jahren dazugebaut hatten, bildeten ein offenes Viereck, das sich dicht an das Seeufer drängte und nur vom Wasser aus zugänglich zu sein schien. Man konnte meinen, eine kleine, wehrhafte Burganlage von sich zu haben. In Wirklichkeit waren Stall und Scheune nur durch einen Schwibbogen verbunden, unter dem man selbst mit dem breitesten Fuhrwerk bequem in den Hof einfahren konnte. Zur Nacht wurde diese Einfahrt durch ein mächtiges, zweiflügeliges Tor geschlossen. Dieser wehrhafte Eindruck der Anlage wurde noch durch die Luftschlitze in den Scheunenwänden verstärkt, die Schießscharten sehr ähnlich sahen.
    Stephan Textor hatte den Besitz gegen seine sonstige Gewohnheit nicht ganz billig an sich gebracht. Was ihn aber bewogen haben
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