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Der Teufel von Garmisch

Der Teufel von Garmisch

Titel: Der Teufel von Garmisch
Autoren: Martin Schueller
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eine zweite Chance gebeten, nein, nicht gebeten –
gefleht. Bei den ersten Malen hatte sie ihm höflich erklärt, dass er ein netter
Kollege sei, sie aber außer freundschaftlichen Gefühlen rein gar nichts für ihn
empfinde. Aber schon bei seinem dritten Anruf war ihr Ton entschlossener
gewesen und schließlich scharf geworden. Am Ende hatte sie sich verbeten,
weiter von ihm belästigt zu werden.
    Sie hatte den Abend nie wieder erwähnt. Im Büro ging sie ihm aus dem
Weg. Sie grüßte kühl. Wenn sie – was selten vorkam – zusammen an einem Projekt
arbeiten mussten, blieb sie professionell distanziert. Wie er auch.
    All das war in der einen Hälfte seines Hirns gespeichert.
    Die andere Hälfte war ausgefüllt von dem Funkeln ihrer Augen.
    Und diese Hälfte war es auch, die ihn seit Wochen immer wieder dazu
brachte, durch die Nacht zu ihrem Haus zu fahren.
    Wenn dort Licht brannte, parkte er in der Nähe, nicht direkt davor,
aber in Sichtweite. Dann verbrachte er die Zeit mit nichts anderem, als zu
ihren Fenstern hochzustarren, bis das Licht dahinter erlosch.
    Manchmal sah er ihre Silhouette hinter den Gardinen. Dann durchfuhr
ihn ein Strahl, der gleichzeitig heiß und kalt war. Das waren die Momente,
deretwegen er hier war. Die Sekunden, in denen sie ihm gehörte.
    Er unterquerte die Gleise am Bahnhof und fuhr weiter in Richtung
Grainau, um die großen Gebäude des US -Resorts
herum und aus dem Ort hinaus. Er passierte das Einkaufszentrum gegenüber dem
Campingplatz, wo auch GAP -Data lag, die Firma, in
der Sanne und er arbeiteten. Dahinter bog er links ab nach Untergrainau. Dort,
am Zigeunerweg, wohnte sie. Wie die meisten Häuser hier lag auch ihres ein
wenig von der Straße und den Nachbarn entfernt.
    Auf der Straße parkte kein Wagen. Wer hier jemanden besuchte,
stellte sein Auto auf dem Grundstück ab. Ihr Citroën stand immer hinter dem
Haus.
    Er hoffte, dass er auch heute dort stand, denn er wusste, dass sie
die nächsten drei Tage Urlaub genommen hatte vor der Messe in Köln.
    Mit einem Blick in den Rückspiegel versicherte er sich, dass er
allein auf der Straße war, bevor er den R5 ausrollen ließ und rückwärts in den
Waldweg gegenüber ihrem Haus rangierte. Er schaltete den Motor aus. Zwischen
den Büschen war er vor den Blicken von der Straße her einigermaßen verborgen.
Ein- oder zweimal war ein später Jogger vorbeigekommen, der ihn bemerkt hatte.
Und einmal hatte eine alte Nachbarin aus ihrem Dachfenster auf ihn
heruntergeschaut.
    Von hier aus war nur der erste Stock von Sannes Haus zu sehen, und
dort, hinter den Gardinen des großen Fensters, brannte Licht.
    Sie war zu Hause.
    Sebastian schlug den Kragen seiner wattierten Jacke hoch und schloss
den obersten Knopf. So gut es ging, ignorierte er die Kälte, die in ihm
hochkroch.
    Nach ein paar Minuten meinte er, eine Bewegung an den Gardinen zu
sehen, aber er war sich nicht sicher.
    Sein Atem hinterließ milchige Streifen auf der Seitenscheibe, die im
Licht des zunehmenden Mondes weiß leuchteten. Er kurbelte die Scheibe einen
Spalt weit auf. Kalte Luft strömte herein.
    Es war still. Lange geschah nichts. Ein Auto näherte sich von der
Bundesstraße her. Es fuhr vorbei, und bald umfing ihn wieder die Stille der
Nacht. Erneut eine Bewegung an den Gardinen, dieses Mal bewegten sie sich ganz
zweifellos.
    Er stellte sich vor, wie sie durch ihr Wohnzimmer ging. Was mochte
sie anhaben? Am liebsten sah er sie in einem Kimono vor sich, einem
nachtblauen, obwohl er natürlich nicht die geringste Ahnung hatte, ob sie einen
solchen besaß. Aber ein nachtblauer Kimono schien ihm das Passendste, um ihren
schlanken Körper zu umhüllen. Ihre Haare würden sanft über die Schultern
fallen, und das goldene Blond würde einen herrlichen Kontrast zu der
knisternden dunklen Seide bilden.
    Er quälte sich ein verzerrtes Lächeln ab, während er versuchte, die
Tränen zu unterdrücken. Er fühlte sich krank und lächerlich. Lächerlich krank
und krank vor Lächerlichkeit. Es war ein schwacher Trost, dass niemand wusste,
was er hier tat. Er öffnete die Tür und stieg aus. Keine Bewegung hinter den
Gardinen, kein Geräusch.
    Leise schloss er die Fahrertür und überquerte langsam die Straße,
hin zu dem kleinen Tor im Gartenzaun.
    Das hatte er noch nie gewagt. So nahe war er dem Haus noch nie
gewesen seit der Abfuhr, die sie ihm erteilt hatte.
    Er stand da und starrte in den mondbeschienenen Vorgarten. Plötzlich
war da ein Geräusch. Ein leiser, aber scharfer
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