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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Gründe, warum ich, ein im Grunde kontemplativer Mensch, der nichts anderes anstrebt, als in Ruhe zu leben, zu lesen und zu schreiben, warum gerade ich ein so bewegtes, aufgeregtes Dasein zu führen habe. Ich werde mich darauf beschränken, darzustellen, was ich erlebt habe, so ehrlich, das heißt so subjektiv wie möglich und ohne den Anspruch, objektiv zu sein.

    Es begann an einem Abend, Mitte Mai, nach Sonnenuntergang. Im Erdgeschoß meines Hauses in Sanary, in dem kleinen Zimmer, wo der Radioapparat stand, war es dämmerig, aber noch nicht so dunkel, daß ich Licht gemacht hätte.
    Ich war allein, lag auf der Ottomane und hörte die Meldungen des Rundfunks. Es stand nicht gut, weder in Belgien noch in den Niederlanden. Ich überdachte die spärlichen Nachrichten, mit geschlossenen Augen auf der Ottomane liegend, und ich hörte mit halbem Ohr auf die Bekanntmachungen, die im Anschluß an die Nachrichten verkündet wurden. Da, auf einmal, hieß es, alle im Bezirk von Paris ansässigen deutschen Staatsangehörigen oder in Deutschland geborenen Staatenlosen im Alter von siebzehn bis fünfundfünfzig Jahren, Männer und Frauen, hätten sich an dem und jenem Tage da und dort einzufinden, um interniert zu werden.
    Ich rührte mich nicht, ich blieb liegen. Ich befahl mir: »Keine Panik, denke ruhig nach.« Ich sagte mir, höchstwahrscheinlich werde die Maßnahme auf die Stadt Paris beschränkt bleiben und sicherlich nicht werde sie auf den vom Krieg nicht bedrohten Süden ausgedehnt werden. Aber ein inneres Wissen sagte mir gleichzeitig, daß diese vernünftigen Erwägungen Unsinn seien. Vom Beginn dieses Krieges an war immer das Schlechte eingetroffen, das man befürchtet, nie das Gute, das man gehofft hatte.
    Das Radio sprach längst von anderem. Ich lag immer noch auf der Ottomane, geschlossenen Auges. Ich stand auf und sah mit Verwunderung, daß es vollends Nacht geworden war. Ich fühlte mich auf einmal schrecklich müde. Ich ging hinaus in den Garten, ging zwischen den Beeten herum, stieg die kleinen Terrassen hinauf und wieder hinunter und bedachte dies und jenes.
    Es war schon niederträchtig. Seit dreiviertel Jahren jetzt saß ich hier in dieser Mausefalle Frankreich und konnte keine Erlaubnis zur Ausreise kriegen. Und jetzt werde ich also ein zweites Mal das Konzentrationslager schmecken müssen.
    Die Landschaft rings um mein Haus ist schön und voll tiefen Friedens. Berge, Meer und Inseln; eine herrlich geschwungene Küste; Ölbäume, Feigenbäume, Pinien; ein paar verstreute Häuser. Eine große Stille war, ein kleiner Wind ging. Eine unserer Katzen lief spielend um mich herum, vor, wieder zurück, wieder vor, und miaute auffordernd. Ich streichelte sie, und sie schnurrte. Es war nicht warm, doch auch nicht kalt, ich fror auf einmal.
    Ich ging zurück ins Haus und suchte meine Frau. Das große Haus lag leer, das Ehepaar, das uns bediente, war wohl ausgegangen. Ich fand meine Frau in der Küche, sie bereitete Futter für die Katzen. Sie nickte mir zu. »Willst du noch was trinken?« fragte sie. »Ein Glas Grapefruitsaft?« – »Danke«, sagte ich, »vielleicht später.« Sie sagte irgendwas Belangloses, daß Leontine – das war das Mädchen – dem Fleisch für die Katzen immer zuwenig Reis und zuwenig Milch beimische, oder dergleichen. Ich saß auf einem Küchenstuhl, schaute ihr zu und dachte: Soll ich es ihr noch heute abend sagen? Aber sicher haben sie es auch im Ort gehört, und wenn ich es ihr nicht sage, dann sagt es ihr Leontine. Es ist besser, ich sage es ihr. Ich schaute ihr zu, wie sie das Futter in einen großen Teller goß und es den Katzen hinstellte, und beide schauten wir zu, wie die Katzen gierig fraßen, schnurrend, vergnügt. Ich dachte: Jetzt ist ihre größte Sorge, daß die Katzen mehr Reis und Milch bekommen. Ich will ihr noch diese Minute lassen, und noch diese, und noch diese letzte.
    Dann sagte ich es ihr.
    Sie schaute mich an, und ich schaute sie an. Schließlich sagte sie: »Wir müssen gleich nach Paris schreiben oder besser depeschieren.« – »Gewiß«, sagte ich, »morgen in aller Frühe. Wenigstens gibt es jetzt keine Fröste mehr«, sagte ich. Die französischen Konzentrationslager waren nicht geheizt, und im Winter war es vorge kommen, daß Internierten ein Finger abgefroren war oder eine Zehe.
    Wir hatten schon zu Abend gegessen, doch auf einmal spürte ich wieder Hunger. »Gib mir doch noch etwas zu essen«, bat ich.
    Während ich aß, klopfte es erst an der einen Tür,
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