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Der Tag der Rache. Private Berlin

Der Tag der Rache. Private Berlin

Titel: Der Tag der Rache. Private Berlin
Autoren: James Patterson , Mark Sullivan
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Schlachter war.
    An dem Tag, an dem ich von der Macht der Masken erfuhr, war mein Vater bei der Arbeit und die Oper wegen der Sommerpause geschlossen. Ich muss ungefähr sieben Jahre alt gewesen sein und hatte Windpocken. Um mich aufzumuntern, holte meine Mutter eine große Truhe vom Dachboden. Sie öffnete sie, und ich schwöre euch, ich roch alte Menschen darin. Ihr wisst schon, den Duft, wenn etwas langsam und unwiderruflich vermodert.
    Sie zog eine Papierkrattler-Maske mit grinsender Fratze heraus: rote Lippen, gewaltige Nase, wild blickende Augen und ein Waschbärschwanz als Haar. Sie sagte, die Maske sei zuletzt fünfzig Jahre zuvor während eines Fastnachtsumzugs in Ravensburg in der Nähe vom Bodensee getragen worden. Sie habe ihrer Mutter gehört, die während Hitlers Krieg bei einem Bombenangriff auf Berlin ums Leben gekommen war. Berlin war in Schutt und Asche gelegt und mein Vater in die Verzweiflung getrieben worden. Die Maske hatte irgendwie überlebt.
    »D iese Maske ist ein Wunder«, sagte meine Mutter. »E in Wunder.«
    Sie legte sie zur Seite und holte eine andere aus der Truhe, eine schwarze, kleinere, die nur bis über die Nase reichte wie eine Verbrechermaske. »D ie stammt aus Don Giovanni, der Oper«, erklärte sie, während sie sie mir aufsetzte.
    »W er ist Don Giovanni?«, fragte ich.
    »E in böser Mann, der einen hässlichen Tod erleidet. So sterben schlechte Menschen. Der Tod eines Sünders spiegelt immer sein Leben wider. Vergiss das nicht.«
    Natürlich würde ich später erfahren, dass sie völligen Unsinn erzählt hatte. Der Tod ist nie eine Form der Vergeltung, sondern etwas Schönes, dem man freudig entgegenblickt, ein feierlicher Moment.
    Doch der gute Sohn in mir stimmte ihr voller Ernst zu.
    Sie holte ihre Schminksachen und verpasste mir mürrische Lippen, eingefallene Augen und schalkhafte Augenbrauen. Ich musste lachen. Nachdem sie mir eine Perücke und eine Brille aufgesetzt hatte, blickte ich in den Spiegel und kam mir tatsächlich wie jemand anders vor. Ich war nicht mehr ich selbst.
    »W eißt du, warum man im Theater Masken und Schminke verwendet?« fragte meine Mutter.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »E ine Maske verändert dich. Genauso wie Schminke. Mit einer Maske kannst du dich vor den Blicken anderer Menschen verbergen. Du kannst tun, was du willst, egal wie. Mit einer Maske bist du beinahe unsichtbar. Und mit der richtigen Maske kannst du dich in jeden beliebigen Menschen und in jedes beliebige Wesen verwandeln. Zum Beispiel in einen Prinzen. Oder in einen Tiger.«
    Ich nickte, während sich in mir Möglichkeiten auftaten. »O der in ein Ungeheuer?«
    »A uch in ein Ungeheuer«, antwortete meine Mutter und gab mir einen Kuss auf das Haar.

4
    Rechts von Jack Morgans Kopf erschien ein neues Video auf dem Bildschirm. Es zeigte eine Frau in einem schäbigen schwarzen Kleid über einer schwarzen Jeans. Matties erster Gedanke war, dass sie einmal hübsch gewesen sein musste, doch jetzt hatte sie sprödes, zerzaustes Haar und fahle Haut. Und ihre Augen waren eingesunken und glanzlos. Sie sah aus, als hätte sie in ihrem Leben schon einiges durchgemacht.
    »D ie Aufnahme stammt von der Kamera in unserem Eingangsbereich, letzten Freitag vor einer Woche«, erklärte Ernst Gabriel. »H ier kommt Chris, um die Frau in Empfang zu nehmen.«
    Mattie runzelte die Stirn. Chris ging auf die Frau zu, umarmte sie, drückte seine Wange an ihre und streichelte ihr über den Rücken.
    »W er ist das?«, brachte sie heraus.
    »I ch weiß nicht«, antwortete Gabriel, der die Brille abnahm und seine Augen rieb. »A ber eine Stunde nachdem diese Aufnahme gemacht wurde, habe ich gesehen, wie sie aus seinem Büro kam, und gehört, wie er zu ihr gesagt hat, er werde sich um die Sache kümmern und es würden keine Kosten für sie entstehen. Sie umarmten sich wieder, dann ging sie.«
    »K annst du in Chris’ Unterlagen nachsehen und herausfinden, wer sie ist?«, fragte Morgan.
    »M it deiner Genehmigung«, sagte Gabriel.
    »D ie hast du.«
    Ernst Gabriel tippte wieder etwas ein. Er hielt inne, blickte verblüfft auf den Bildschirm und tippte weiter. »K omisch«, murmelte er.
    »W as?«, wollte Mattie wissen, die sich zu Gabriels Bildschirm hinüberbeugte.
    Gabriel tippte weiter. »S o, jetzt müsste es funktionieren.«
    Doch statt mit den Daten aus Schneiders Fallakte wurde der Bildschirm mit pinkfarbenen, smaragdgrünen und schwarzen Punkten ausgefüllt, die wie etwas Lebendiges
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