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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Krystyna Kuhn
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Julia. Chris kannte sie aus dem Französischgrundkurs, wo sie sich zusammen bei Professor Forsters Ausführungen langweilten.
    »Hey Chris«, rief Katja. »Happy Remembrance Day.« Sie lachte und folgte Alessa, die einen Rucksack schleppte, der so riesig war, als plane sie eine wochenlange Tour durch Europa. Chris winkte ihnen zu und lief hinüber zum Treppenaufgang, um ins Erdgeschoss zu gelangen.
    Das College hatte keine normalen Semesterferien und auch nicht den üblichen Spring Break. Stattdessen schloss es ausgerechnet für den Remembrance Day für vier Tage. Die Studenten schien es nicht weiter zu stören, dass sie die ersehnten freien Tage auf Kosten der Toten hatten. Hauptsache, sie hatten Spaß, so schien das allgemeine Motto zu lauten.
    Als Chris die Empfangshalle betrat, sah er sich suchend um. Auf dem riesigen Flachbildschirm an der Wand rechts liefen die Nachrichten von CNN. Schneebedeckte Fahrbahnen, umgestürzte Bäume, Autos, die auf die Gegenfahrbahn rutschten, dann eine Reihe von Trucks, die ineinandergefahren waren. Ein rotes Band mit Unwetterwarnungen für die Mountain-States bis hoch nach Kanada lief über den Bildschirm.
    Höchste Zeit, dass sie loskamen. Hier oben war das Wetter sowieso schon unberechenbar – und mit einem Sturm dieser Größenordnung wollte es Chris auf der Fahrt lieber nicht zu tun bekommen.
    Er sah sich suchend um und wenig später entdeckte er Julia. Sie saß in einem der Sessel in der Nähe vom Kamin. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, an diesem Tag den offenen Kamin anzufeuern, und offenbar schaffte es die Heizung nicht, wenigstens eine Spur von Wärme in den riesigen Raum zu bringen. Es war ungemütlich kalt hier.
    Chris spürte, wie sein Herz einen Satz machte. Julia trug die dicke dunkelbraune Daunenjacke, die sie zusammen in Fields gekauft hatten. Ihr halblanges hellbraunes Haar trug sie offen, es rahmte ihr schmales blasses Gesicht ein, zu dem die grünen Augen einen Kontrast bildeten, der ihm jedes Mal den Atem raubte.
    Julia sah hinaus auf den Lake Mirror und Chris wusste selbst nicht, weshalb er auf diesen bescheuerten Gedanken kam – ja –, es war eine alberne Idee, aber Gott, ein bisschen Spaß musste sein, oder? Er schlich über die massiven Stein-platten, und noch bevor er Julia erreicht hatte, hatte er bereits die Hände ausgestreckt. Als er dann hinter ihr stand und Julia immer noch nichts von seiner Anwesenheit ahnte, legte er seine Finger um ihren Nacken.
    Sie schwebten den Bruchteil einer Sekunde in der Luft und dann endlich spürte er ihre Haut. Nein, er drückte nicht zu. Wollte sie nur ein wenig erschrecken.
    Julia schrie nicht, wie Chris es erwartet hatte. Sie sprang auch nicht wie von der Tarantel gestochen hoch. Sie schien vielmehr unter seiner Berührung zu erstarren. Chris konnte es regelrecht bis in die Fingerspitzen fühlen, dass ihre Haut kalt wurde und ihre Muskeln sich zusammenzogen.
    Augenblicklich ließ er sie los.
    »He«, sagte er leise. »Ich bin es, Chris. Alles okay!«
    Nicht einmal jetzt rührte sie sich. Er ließ die Arme sinken, ging um den Sessel herum, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss.
    »Was ist denn los, Julia?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht, ja, sie schien ihn nicht einmal gehört zu haben. Sie hatte sich wieder einmal völlig in sich zurückgezogen. Genau das Gegenteil von dem, was Chris gewollt hatte. Aber daran hätte er früher denken sollen. Er war manchmal so ein Idiot.
    »He!« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. Ihre Züge wirkten völlig verkrampft, ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten ihn entsetzt an. Der Mund, halb geöffnet, brachte keinen Laut hervor. Dieses Gesicht, es war ein Meer von Traurigkeit, und Chris wünschte sich, er hätte nicht versucht, Julia zu erschrecken, er wünschte sich, er könnte derjenige sein, der diese Traurigkeit für immer verbannen würde.
    Aber ihr Gesicht entspannte sich nicht bei seinem Anblick, stattdessen stieß sie ihn zur Seite. Und ihr Blick wurde schwarz vor Wut.
    »Macht dir das eigentlich Spaß?« Julias Stimme war gefährlich leise.
    »Es tut mir leid!« Er schüttelte den Kopf.
    »Bist du verrückt geworden, mich so zu erschrecken?«
    »Entschuldige.«
    »Manchmal glaube ich wirklich, dich macht es glücklich, mir Angst einzujagen.«
    Chris hob die Arme und beugte sich zu ihr. »Julia, es tut mir leid, ja? Ich vergesse einfach manchmal, wie schreckhaft du sein kannst.«
    Sie schob ihn von sich weg, stieß ihm ihre Hand gegen die Brust
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