Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
Vom Netzwerk:
Neben ihm, an ein eisernes Geländer gelehnt, stand ein zweiter Mann, in grüner Latzhose, mit Schirmmütze und in Gummistiefeln. Ein Bauer, vermutlich ein Nachbar, der beruhigend auf den Sitzenden einredete. Rechts daneben ein fast neuer, dunkelroter Volkswagen Golf. Ronny wendete und ging hinüber zu den beiden. Der Polizist verwehrte es ihm nicht.
    »Hej, was ist passiert?« Ronny bemühte sich, mitfühlend zu klingen.
    Der ältere Herr schaute verwirrt auf, mit flackernden Augen, fuhr sich mit einer Hand wieder über das Gesicht und wollte sich gerade einen Ruck geben, als ihm der Bauer zuvorkam.
    »Bertil hat in seiner Scheune eine Leiche gefunden.« Der Bauer hatte ungewöhnlich große, ja riesenhafte Hände.
    »Jemanden, den ihr kennt?«
    »Nein, keiner von hier. Ist aber schwer zu sagen, so wie die Leiche aussieht. Aber solche Schuhe hat hier keiner.«
    »Was ist denn mit der Leiche?«
    »Die Dachse. Sie liegt neben einem Dachsbau. Muss ein Fest für die Tiere gewesen sein. Waren wohl gerade aufgewacht, aus dem Winterschlaf, so richtig hungrig, und da lag dann das Futter, direkt vor dem Ausgang. Komm, schau dir das an.«
    Der Bauer ging am Schuppen mit dem Volvo Duett vorbei, dann hinüber zur Scheune und winkte Ronny mitzukommen. Der Polizist hob sofort die Hand.
    »Lass sein«, sagte der Bauer, der den Polizisten zu kennen schien. Die Hand sank. Der zweite Polizist war unterdessen zum Wagen gegangen, hatte eine Rolle mit einem blauweißen Kunststoffband und ein gelbes Schild mit der Aufschritt »Abgesperrt« hervorgeholt. Sein Kollege, der dem Bauern offenbar nicht zu widersprechen wagte, wandte sich um und winkte das deutsche Auto und den Tankwagen vorbei. Ronny trat zum offenen Tor, nahm einen strengen Geruch wahr, blickte in das Halbdunkel – und musste sich, kreidebleich, am Arm des Bauern festhalten.
    »Liegt er schon lange hier?« Es war einige Zeit vergangen, bis Ronny wieder sprechen konnte.
    »Weiß ich nicht. Glaube ich aber nicht. Aasfresser sind schnell. Können Füchse sein, aber auch Dachse. Oft kommen Füchse und Dachse zusammen. Nach einer Nacht ist manchmal nur noch das Skelett übrig. Und der hier hat noch Fleisch.«
    Ronny spürte, wie eine starke Übelkeit in ihm hochstieg, konzentrierte sich mühsam und sah halb benommen einen abgenagten Schädel, einen wirren Haufen aus weißroten Fleischresten und Knochen, aus Stofffetzen, die einmal ein dunkelblaues Sakko, eine graue Flanellhose, ein hellblaues Hemd gewesen sein mussten – und ein Paar jetzt verstaubter, aber offensichtlich noch vor kurzem gut geputzter Schuhe, in denen die Unterschenkelknochen staken. Der Bauer zog ihn fort. Ronny ließ sich zur Verandatreppe zurückführen. Er ging mechanisch stapfend, es war ihm noch speiübel und gleichzeitig kam er sich vor wie ein Automat, dem viele Fragen auf einmal eingegeben wurden: Konnte es sein, dass die Schuhe noch nach Schuhcreme rochen? Kannte er diesen Geruch? Konnte dieser Haufen ein vollständiger Mensch gewesen sein?
    »Was machst du eigentlich hier?«
    »Oh, Entschuldigung, ich komme von Skåneposten.«
    Der ältere Herr blickte auf. »Das hätte ich mir denken können«, sagte er.
    »Ist das dein Hof?«, fragte Ronny. »Entschuldige, dass ich frage.« Der ältere Herr nickte.
    »Dein Sommerhaus?«
    »Der Hof der Familie. Seit 1762 .«
    »Und wo lebst du jetzt, wenn ich fragen darf?«
    »In Malmö. Und darf ich fragen, warum dich das interessiert?« Ronny antwortete nicht, sondern versuchte jetzt, ein richtiger Reporter zu sein, indem er eine Gegenfrage stellte.
    »Ist das dein Auto?«
    »Der Golf?«
    »Nein, der Duett.«
    »Ja, auch.«
    »B  18 Motor, mit 75   PS ?«
    »Ja«, antwortete Bertil Cederblad, und für einen kurzen Augenblick schien er die Leiche vergessen zu haben, »die Maschine kriegt man nicht kaputt.«
    »Ich hatte früher auch mal so einen Volvo, einen Buckel von 1953 , ein schönes Ding. Aber die Bodenplatte war durchgerostet.« Dann schwieg Ronny und schaute auf Wiese und Wald. »She once was a true friend of mine.« Er wollte nicht aufdringlich sein. Aber er brauchte eine Geschichte. Er blickte sich um, sah die geöffneten Fenster des Wohnhauses, den Schlauch, der in die Wiese hinausführte, und die Schaufel, die mitten auf dem Hof lag. Zusammen ergaben diese Dinge eine Folge von Ereignissen. Er sprach den Bauern mit den großen Händen an:
    »Du hast die Polizei gerufen, richtig?«
    »Nein, das war Bertil. Ich schaue manchmal nach dem Hof, wenn er nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher