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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
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den Notruf.

Zwei
    Als Ronny Gustavsson die Sirene des Polizeiwagens hörte, am frühen Nachmittag dieses Samstags im April, lag er, ein großer, dünner, blonder Mensch in einem Bademantel aus billigem grauen Frottée, auf dem Sofa. Man hätte ihn, mit seinen klaren Zügen, der hohen Stirn, den starken Wangenknochen und den blauen Augen, für einen gutaussehenden Mann halten können. Er hatte lange geschlafen und war dann, ungeduscht, mit einem Becher Kaffee und wirren Haaren, in den technischen Feinheiten seiner Stereoanlage versunken, um, wieder einmal, die akustische Anpassung an den Raum zu verbessern. Eine seiner ältesten Schallplatten hatte er dazu gewählt, »The Freewheelin’ Bob Dylan«. Er hatte sich dem großen Meister immer verwandt gefühlt und gehofft, von dessen Lässigkeit würde sich ein Bruchteil auf ihn übertragen. Als er aber dieses »Meisterwerk der Musikgeschichte«, wie er sagte, einmal einer jungen Frau vorstellte, auf die er ein begehrliches Auge geworfen hatte, wurde er als »seniler Studienrat« verlacht. Das Urteil hatte ihn hart getroffen. Lange Zeit danach hatte er jedes Gespräch mit jüngeren Menschen gemieden. Dabei war er selbst kaum geboren gewesen, als diese Schallplatte in die Welt gekommen war. Jetzt aber trafen ihn diese Songs wieder einmal direkt ins Herz, und bei dem Vers »remember me to one who lived there, she once was a true friend of mine« – »sie war mir einst als Freundin treu« – traten ihm, wie immer, ein paar Tränen in die Augen, und er dachte, auch er hätte gern einmal eine solche wahre Freundin gehabt. Aber da war keine gewesen, jedenfalls keine, an die er sich mit so viel Gefühl hätte erinnern können, und das tat weh, auch weil die eine, die er sich gewünscht hatte und vielleicht immer noch wünschte, bestimmt nicht einmal daran dachte.
    Nun ging die Sirene, fuhr mit einem Höllenlärm heraus aus der Garage der Gemeindeverwaltung von Västra Storgatan und raste gen Norden. Ein Unfall, dachte Ronny und wusste, dass die kommenden Stunden nicht mehr ihm gehören sollten. Vermutlich auf der Reichsstraße  19 . Es hatte nicht viel geholfen, dass in der Mitte der Straße Spannseile gezogen worden waren, die Leute fuhren auf der schnurgeraden Strecke trotzdem viel zu schnell. Aber dann hörte er, wie das Geheul nicht im Osten verschwand, dort, wo die große Straße entlangführte, sondern im Westen, in Richtung Visseltofta oder Verum. »Da ist doch nichts«, dachte er weiter, aber in diesem Augenblick war er schon auf dem Weg in die Dusche. Es war ein Glück oder, je nachdem, wie man es nahm, ein besonderes Pech, dass er, der für Osby zuständige Lokalreporter von »Skåneposten«, der Regionalzeitung für die Welt zwischen Kristianstad, Osby und Höör, gleich gegenüber von »kommunhuset«, der Gemeindeverwaltung, wohnte, wo auch die Polizeistation untergebracht war. Und doch, vermutlich konnte man die Sirene des Polizeiwagens, wenn sie irgendwo losging, an jeder Stelle in dieser Stadt hören, so klein war Osby mit seinen siebentausend Einwohnern. Billig jedenfalls war seine Wohnung, die in einem mit roten Klinkern verschalten dreistöckigen Mietshaus aus den sechziger Jahren lag, mit Blick auf den mit grauen Platten in Waschbeton ausgelegten Marktplatz, auf dem nie ein Markt stattfand, und auf einen rotweißen Kiosk, der sich »Texas Grill und Pizzeria« nannte, Hamburger und Würstchen verkaufte und wo sich, in der wärmeren Jahreszeit, die Jugend mit ihren Mopeds und umgebauten alten Volvos traf.
    Als Ronny nach knapp drei Minuten aus der Dusche kam, war er immer noch mürrisch, unwillig und nicht wirklich bereit, das Schicksal des Tages anzunehmen. Da klingelte sein Mobiltelefon. Leif Karlsson war am Apparat, ein Kollege aus der Redaktion in Hässleholm, der beneidenswert gute Verbindungen zur Polizei besaß. »Mach dich bitte auf den Weg, aber schnell«, sagte er, »irgendwo bei Visseltofta hat man eine Leiche gefunden. Die Kriminalpolizei ist auch schon unterwegs.« Ronny kannte Visseltofta, das Straßendorf, die alte Brücke über den Fluss Helgeå, die Kirche mit ihrem Friedhof dahinter, das aufgegebene Sägewerk, aus dem jemand, mit wenig Geld, in den vergangenen Jahren versucht hatte, eine Spukstadt wie im Wilden Westen zu machen, und das jetzt als Ruine dalag. Visseltofta war ein idyllischer kleiner Ort und wurde, wie viele kleine Dörfer in den Wäldern im Norden Schonens, nunmehr Haus für Haus von seiner Bevölkerung
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