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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Per Johansson
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hatte sich in eine Unkrautwiese verwandelt, man hätte sie systematisch freilegen und die Bauten mit ein paar dicken Stämmen sichern müssen. Dafür schien es jetzt zu spät zu sein. Die Balken und Bretter, aus denen die Scheunen errichtet waren, faulten vom Boden bis mindestens einen Meter hinauf, und das Moos wuchs an den Außenseiten empor. Auch schienen die Scheunen immer schiefer zu stehen, und schon im vergangenen Jahr war es so gewesen, dass das Tor zur ehemaligen Wagenremise so krumm in seinen verzogenen Angeln hing, dass es sich nur noch unter großen Schwierigkeiten öffnen ließ.
    »Ob der Dachs wohl noch da ist?«, fragte sich Bertil Cederblad. Vor zwei oder drei Jahren hatte er zum ersten Mal das große Loch gesehen, das offenbar ein Tier in den Boden des früheren Gerätelagers neben der Remise gegraben hatte. Der Nachbar, eben jener Großcousin, hatte sich das Loch angeschaut, sofort auf einen Dachs getippt und ihm dringend geraten, das Tier töten zu lassen, mit welchen Mitteln auch immer. Denn ein Dachs, so seine Rede, baue ein weitverzweigtes System von Tunneln mit erheblichem Umfang, und es geschehe immer wieder, dass ein Haus so sehr unterhöhlt werde, dass es schließlich zusammenbreche. Auch sei ein Dachs meistens nicht allein, sondern lebe in einer unter Umständen großen Familie, was unabsehbaren Schaden zur Folge haben könne. Dann hatte Bertil den Dachs einmal gesehen, als er spät an einem Sommerabend mit einem Glas Wein und einem Buch auf der Veranda saß, ein fast einen Meter langes, beinahe dreieckiges Tier, ein schönes, schwarz und weiß gestreiftes Wesen, das, am Boden schnüffelnd, erstaunlich flink über den Innenhof trabte. Der Dachs hatte Bertil gefallen, und ein wenig Angst hatte er auch gehabt vor dem großen Tier, und er hatte sich daran erinnert, dass der Großvater ihn gewarnt hatte. Wenn der Dachs zubeiße, hatte er gesagt, beiße er immer so fest zu, bis er den Knöchel splittern höre. Er, der Großvater also, lege deswegen immer ein paar Eierschalen oder ein Stück Knäckebrot in die Schäfte seiner Gummistiefel, wenn er in die Nähe eines Dachsbaus gehe. Bertil Cederblad wusste nicht mehr genau, ob der Großvater so etwas tatsächlich getan hatte.
    Das Dach über der Remise hatte sich ein großes Stück weiter gesenkt und zur Nachbarscheune geneigt. Der Winter war lang und hart gewesen, dachte Bertil und die Schneemassen hatten das alte, morsche Gebäude wohl beinahe erdrückt. Das Tor stand nun einen halben Meter offen und war in der Mitte geborsten. Vielleicht müsse er nun doch einen Zimmermann kommen lassen, überlegte Bertil, wenigstens um einen Kostenvoranschlag zu bekommen. Dann könne man ja sehen. Aber so einfach die Scheunen umfallen oder in sich zusammensinken zu lassen, das gehe ja nun auch nicht, schon des Windschutzes wegen oder der Gemütlichkeit. Und überhaupt habe es sie ja immer schon gegeben, jedenfalls auf den ältesten Fotografien der Verwandtschaft aus den zwanziger Jahren. Bertil nahm die alte, rostige Schaufel, die noch vom vergangenen Sommer – oder war es der vorvergangene? – an der Scheunenwand lehnte, griff sie, des Dachses wegen, und ging hinüber zum leicht geöffneten Tor der Remise. Als er näher kam, nahm er einen strengen Geruch wahr, nicht stark, aber unangenehm und deutlich. Ein Tier, dachte er, der Dachs, und griff die Schaufel fester.
    Es dauerte einen Augenblick, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht in der Scheune gewöhnt hatten. Ganz hinten stand, wie immer, der alte Traktor-Anhänger mit seinem hölzernen Aufbau, ein großes Fahrzeug, das keiner mehr benutzen würde und das doch von Jahr zu Jahr weiter verwahrt wurde. Aber davor lag etwas auf dem Boden, etwas Weiches und Dunkles. Es war viel größer als ein Dachs und bewegte sich nicht. Bertil drückte das Tor mit dem Rücken nach hinten, so dass ein wenig mehr Licht hineinfiel.
    Da lag etwas, was einmal ein Mensch gewesen war, aber was nun zerteilt, auseinandergerissen und zerfetzt war, Knochen, Knorpel, Kleidungsreste. Nur die Schuhe schienen ganz erhalten zu sein: schwarze, noch glänzende Brogues. In den eleganten Schuhen steckten ein Paar abgenagte Beine. Ein schwerer, dumpfer Schrecken legte sich über Bertil Cederblad. In seinen Ohren dröhnten die Glocken von St. Petri. Langsam wich er zurück, ließ die Schaufel fallen, wankte zum Wohnhaus, setzte sich vor den alten Sekretär, griff das Telefon, mit beiden Händen, am ganzen Körper zitternd, und wählte
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