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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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schmelzen lassen. Dann sind die Bestandteile in die flüssige Substanz eingedrungen und haben sich vermischt. Anschließend ist die Temperatur sprunghaft gefallen, und die verschiedenen Elemente sind in deutlich unterscheidbare Teile erstarrt. Wundervoll, Brigid. Hey, du hast ja sogar welche mit Kupfereinschlüssen gefunden!«
    Ich rutschte auf dem Hocker ein wenig näher und beugte mich vor. Hitze, flüssige Substanzen, Eindringen, Erguss … Carlo redete über Milliarden Jahre geologischer Aktivitäten wie über Sex. Außerdem machte es mich an, ihm dabei zuzusehen, wie er die Steine streichelte.
    Die Geo-Erotik zeigte bei uns beiden Wirkung. Vom Streicheln der Steine ging es über zum Streicheln der Hände, die die Steine streichelten, und dann fing ich an, Carlos Finger zu lecken, und er murmelte: »Bella, Bella.« So nannte er mich, wenn er scharf wurde, aber das war mir egal. Hauptsache, er nannte mich nicht Jane. Außerdem spürte ich, dass er diesmal mich damit meinte. So ist das eben, wenn man einen großen Teil seines Lebens bereits hinter sich hat. Man macht sich nichts mehr vor.
    Es war ihm egal, dass ich noch nicht geduscht hatte. Wir glitten von den Hockern und landeten auf einer von Janes unechten Perserbrücken. Türkische Brücken. Orientalische. Was auch immer. Wir küssten uns. Die Möpse schauten uns mit ihren Glupschaugen zu, doch Liebemachen auf dem Boden besaß nicht mehr ganz den Charme von früher. Also gingen wir ins Schlafzimmer und schoben Janes pinkfarbene Satinüberdecke mit dem blauen Saum beiseite.
    Der Sex war spektakulär – keine Bange, ich ergehe mich nicht in Einzelheiten. Sie sind möglicherweise jünger als ich und wollen jetzt nicht unbedingt hören, wie jemand Liebe macht, der locker eine Generation älter ist als Sie. Die Vorstellung könnte peinlich sein, vulgär oder einfach nur komisch.
    Aber Carlo und ich waren nichts von alledem.
    Während er hinterher in dankbarer Zufriedenheit döste, dankte ich ihm still und aus tiefster Seele dafür, dass er mich an seiner normalen Welt teilhaben ließ. Dafür, dass er mir mein neues Selbst gegeben hatte, ein so ganz anderes Selbst als das irgendeiner der Frauen, die ich bis dahin gewesen war.
    Aber Dankbarkeit für die Gegenwart rief unausweichlich Erinnerungen an eine Vergangenheit wach, in der ich meine Lektionen gelernt hatte. Erinnerungen an Paul, zum Beispiel, den sanften Paul mit dem Cello, dem Trüffelöl und den beiden engelhaften Vorschulkindern. Paul, der trotz aufrichtigen Bemühens von mir abgestoßen war. »Verstehst du, Brigid?«, hörte ich ihn in meinen Gedanken sagen. »Du starrst in den Abgrund der Verderbtheit, und irgendwann starrt sie zurück. Du hast so lange in diesem Abgrund gelebt, dass du ihm nie mehr entkommen kannst. Ich habe zu viel Angst, dort mit dir zu leben. Ich muss meine Kinder schützen – vor dir.«
    Paul war der letzte Mann, zu dem ich ehrlich gewesen war. Zumindest habe ich es versucht. Das ist zweiundzwanzig Jahre her. Manchmal frage ich mich noch heute, was mich geritten hat, das Tatortfoto auf der Küchentheke liegen zu lassen.
    Aber wie hätte ich wissen sollen, dass die Kinder es finden?

2.
    Paul hatte recht gehabt – die Vergangenheit stirbt nicht einfach. Verdammt, sie schrumpft nicht mal.
    Ungefähr eine Woche nach der Stein-Sex-Episode lag ich auf einem der dick gepolsterten Kissen von Janes glänzend braunem Brokatsofa und trank Kaffee aus einem Grand-Canyon-Souvenirbecher, den sie und Carlo von einem ihrer Urlaube mitgebracht hatten, während ich mir einzureden versuchte, dass es nicht allzu schwierig sein konnte, etwas zu backen, einen Kuchen zum Beispiel. Während ich eines von Janes Kochbüchern durchblätterte, stieg mir ihr Duft in die Nase – Honig und Mehl –, und ich fragte mich, ob sie mich wohl für gut genug befand. Nicht zum ersten Mal musste ich der Versuchung widerstehen, mich an meinen Computer zu setzen, [email protected] einzutippen und sie zu fragen.
    Die Türglocke riss mich mit Mozarts Kleiner Nachtmusik aus meinen Gedanken, und ich zuckte zusammen. Ich hasse Musik, kam aber nicht dahinter, wie man die Türglocke anders einstellen konnte.
    Auf der Schwelle stand Max Coyote. Deputy Sheriff Max Coyote, in dessen Adern das Blut eines Indianers vom Stamm der Pasqua Yaqui und einer Anthropologin der Columbia University floss. Wir hatten gemeinsam an einer Reihe von Fällen gearbeitet, als ich noch beim FBI gewesen war. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitabeitern
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