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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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Kinder unterrichtet und Stein und Bein schwört, dass ihr verkommener Drecksack von Bruder der gütigste Mensch war, der je über diese Erde gewandelt ist.
    Die Familie des von mir erschossenen Mannes jedenfalls behauptete steif und fest, ich hätte ihn nur deshalb getötet, weil ich befürchtet hätte, es würde nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung ihres lieben Anverwandten kommen, dass ich ihn aber unbedingt bestraft sehen wollte. Die Familie verlor den Prozess, aber die Geschichte hinterließ einen üblen Nachgeschmack. Zu diesem Zeitpunkt war meine Karriere bereits zu Ende, und ich wurde in das unbedeutende Tucson Field Office versetzt – in eine Gegend, von der jeder sagte, sie sei wunderschön. Mir kam es dort vor wie in Sibirien, nur in heiß. Ich hasste dieses FBI -Büro, ich hasste meinen dortigen Chef, und er hasste mich. Ich hielt nur knapp siebzehn Monate durch, bevor ich meine Pensionierung beantragte – worauf sie von Anfang an gehofft hatten.
    Das ist die ganze Wahrheit. Größtenteils.
    Ungefähr ein Jahr lang gab ich mir wirklich Mühe mit meinem Ruhestand. Ich trat einem Buchclub bei, doch die anderen Frauen schnitten mich, als sie herausfanden, dass ich die Bücher nie las. Ich versuchte es mit Yoga, auf den Rat eines Therapeuten hin, der meinte, es würde gegen meine »Wutzustände« helfen, aber die Bikram-Lehrerin warf mich raus, nachdem ich in einem tropisch heißen Raum bei gefühlten siebzig Grad Celsius Wasser getrunken hatte, obwohl ich nicht durfte. Die Frau flippte richtig aus. Dabei sollte doch ich diejenige mit »Wutzuständen« gewesen sein. Namaste , von wegen.
    Ich ging weiterhin jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio, um wenigstens die Form zu halten, die immer ziemlich gut gewesen war. Schließlich hatte ich in meinem Beruf oft improvisieren und flexibel reagieren müssen. Damals hatte ich sogar ein Spezialkräftetraining von einem Navy Seal namens Baxter erhalten. Baxter ist sein Vorname, an den Nachnamen erinnere ich mich nicht. Wir waren uns sehr nahegekommen, und für einen ausgebildeten Killer war Baxter ein kluger Busche gewesen. Wann immer ich an »Black Ops Baxter« denke, höre ich ihn derbe Witze darüber machen, wie ich die Waffen einer Frau tatsächlich als Waffen einsetzen könne. Baxter ist inzwischen tot, leider.
    Wenn ich so darüber nachdenke, geht es mir wie dem Jungen in dem Film, dessen Titel mir gerade nicht einfällt. Vielleicht kenne ich mehr tote Leute als lebendige.
    Zurück zu meiner Pensionierung. Es fühlte sich an, als wäre ich noch immer verdeckte Ermittlerin, die nur vorübergehend in die Rolle einer alternden Frau aus dem Südwesten geschlüpft ist. Würde jemand mich fragen, womit ich mein Geld verdiene, würde ich antworten: »Ich untersuche Urheberrechtsverletzungen.« Das brächte die Unterhaltung garantiert zum Verstummen. Jeder hat irgendwann mal ein Video kopiert.
    Ich verstehe mich noch immer gut darauf, in jeder nur denkbaren Umgebung zu verschwinden und mit dem Hintergrund zu verschmelzen, und ich bin froh, dass mir so mühelos gelingt, was andere Frauen in meinem Alter fürchten.
    So, jetzt kennen Sie mich ein bisschen. Jetzt wissen Sie ein wenig von dem, was ich vor meinen Nachbarn verberge, vor meinem geliebten neuen Ehemann und manchmal sogar vor mir selbst. Niemand mag eine Frau, die weiß, wie man mit bloßen Händen tötet.
    Wie ich bereits sagte, meine Pensionierung lief nicht besonders gut, mit Ausnahme eines Kurses über Buddhismus an der Uni, den ich ebenfalls auf den Rat meines Therapeuten hin besuchte. Dort lernte ich den Professa kennen. Von da an brauchte ich den Therapeuten nicht mehr.
    Die gegenseitige Anziehung war mehr oder weniger augenblicklich. Während der erste Stunde beobachtete ich den leidenschaftlichen Dr. Carlo DiForenza, der während seines Vortrags vor der Klasse hin und her strich wie ein gefangener Tiger, der gerade den Dalai-Lama gefressen hat. Mitten in Carlos Überblick über die zyklische Natur des Karma meldete sich eines der Mädchen. Sie trug ein trägerloses Schlauchtop, das sie aussehen ließ, als würde sie aus diesem Fummel herausgequetscht wie Zahnpasta aus einer Tube. Sie drückte die Ellbogen zusammen, als wollte sie diesen Effekt noch verstärken, und sagte naiv: »Sie meinen, wie in › Wohin du auch gehst, da bist du ‹ ?«
    Der Professa blieb stehen und blickte blinzelnd aus dem Fenster, ohne sich zu der Studentin umzudrehen. Ein Tiger, gestört von einer Mücke.
    »Das mag zwar auf
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