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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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solange die andere Person redet. Die meisten Menschen können nicht gleichzeitig reden und kaltblütig töten. Man schließt normalerweise den Mund, bevor man abdrückt. Sollte der Professa reden, solange er wollte, wenn ich nur in der Zwischenzeit herausfand, wie mein zukünftiges Leben aussehen würde.
    Doch dann drückte er ab.
    »Weißt du noch, als ich mit Max geredet habe? Er hat mir keine Einzelheiten aus deiner Vergangenheit genannt.«
    »Er wusste nicht besonders viel«, erwiderte ich.
    »Ich habe ihn nach dir ausgefragt. Du weißt schon, nach deinem wahren Ich.«
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Wie du schon sagst, er wusste nicht besonders viel. Er gab mir eine Telefonnummer von jemandem in der FBI -Zentrale in Washington. Einem Freund von dir, sagte er, einem Psychologen. David Weiss.«
    Zuerst spürte ich gar nicht, dass er mich erschossen hatte. Da war diese Taubheit, die vor dem Schmerz kommt, wenn der Schock sich in einem ausbreitet und alles andere verdrängt. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was Carlo über mich wusste.
    »Weiss?«, fragte ich fassungslos. Ich wusste, dass ich tot war. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir alles erzähle. Hast du mir nicht vertraut?«
    »Nein. Ja. Ich konnte nicht warten.«
    Plötzlich war ich gar nicht mehr müde. »Er hat dir erzählt, dass ich den Kerl erschossen habe, nicht wahr? Nicht den unten am Flussbett, sondern den anderen, damals, als ich noch beim FBI war. Sig weiß mehr darüber als irgendjemand sonst.«
    Ich vermochte nicht zu sagen, ob Carlo die Toten mitzählte. »Vergiss das«, sagte er verächtlich. »Erzähl mir von diesem Paul, mit dem du zusammen warst.«
    Ein weiteres Mal ging meine Auffassung von Wirklichkeit in Schräglage, und ich fühlte mich, als würde ich auf den Abgrund zurutschen und in den emotionalen freien Fall übergehen. Doch so, wie wir beide dasaßen und auf die Windschutzscheibe starrten wie in einem Beichtstuhl, hatte ich keine andere Wahl, als Carlo alles zu berichten. Ich erzählte ihm, dass jede Person, die mir nahestand, Freund und Familie, auf die eine oder andere Weise für das Gesetz arbeitete. Dass ich glaubte, jeden Zivilisten zu verschrecken und zu vertreiben, den ich je gekannt hatte. Dass ich teils Angst gehabt hatte, auch ihn zu vertreiben, und teils, es nicht zu können. Ich erzählte ihm von meiner schrecklichen Angst, er würde mich verlassen, wenn er herausfand, wer ich wirklich war. Ich erzählte ihm viel mehr, als ich Sigmund je über mich erzählt hatte.
    Als ich fertig war, schwieg er eine ganze Weile, als hätte ich zu schnell geredet und er müsste erst alles verdauen.
    »Verdammtes Arschloch«, sagte er schließlich.
    Schockiert von seiner Reaktion senkte ich den Kopf. »Vielleicht hättest du es selbst erleben müssen«, brachte ich hervor.
    »Ich meine nicht dich«, sagte Carlo. »Ich meine diesen Paul. Hört sich an, als sei er ein verdammtes Arschloch.«
    Ich saß blinzelnd da und hatte Mühe, seine Worte zu verarbeiten, während ich mich fragte, warum sie nicht wie eine Absolution oder eine auferlegte Strafe klangen. Ein perfekter Mann in meinem Leben nannte den anderen perfekten Mann ein Arschloch. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte.
    »Und du dachtest, ich wäre wie er?«, fragte Carlo. Ich konnte spüren, wie er vor Entrüstung unmerklich den Kopf schüttelte und leise schnaufte. »Ich habe einen Teil meiner Seelsorgerausbildung als Gefängniskaplan absolviert. Ich habe einem Gefangenen, der einen Messerstich ins Ohr erhalten hatte, die letzte Ölung erteilt. Ich habe Todeskandidaten zu ihrer Hinrichtung begleitet, als es noch elektrische Stühle gab und als wir zuschauten, wie die Delinquenten gegrillt wurden. Für was hältst du mich? Für einen schmerbäuchigen Pfaffen mit Kommunionswein statt Rückenmarksflüssigkeit?«
    »Nein …«, krächzte ich und hoffte, dass es nicht zweifelnd klang.
    »Sehr richtig. Weil ich das nämlich als Beleidigung auffassen würde.«
    Ich hatte immer noch meine Zweifel. »Und du lässt dich nicht auf mein Niveau herab, um mich auf meinem Feld zu schlagen?«
    Er ignorierte meine Bemerkung. »Ich verstehe einfach nicht, warum du mir so viel von dir verschwiegen hast.«
    Ich wurde wütend. »Du wolltest es doch gar nicht wissen! Erinnerst du dich an unsere erste Verabredung? Du hast mir diese Geschichte über den Mann mit der Maske erzählt. Deine Botschaft war klar und deutlich.«
    »Was hast du denn geglaubt, was sie bedeutet?«
    »Ob es dir nun
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