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Der Spion und die Lady

Der Spion und die Lady

Titel: Der Spion und die Lady
Autoren: Mary Jo Putney
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humorvoller und gutwilliger Geselligkeit verbarg er seine wirklichen Gefühle und Gedanken.
    Das alles wäre nicht besonders beunruhigend gewesen, hätte Giles nicht gewußt, daß ein solches Verhalten der Natur seines Bruders total widersprach. Die Freude am Leben, so typisch für den Robin von früher, war dahin. Zu oft ertappte Giles seinen Bruder nun dabei, ins Leere zu starren. Der Marquis fragte sich, ob die Gründe dafür bei der jetzigen Duchess of Candover lagen oder ob es Motive gab, die so leicht nicht zu ergründen waren.
    Mit einem nachdenklichen Seufzer legte er die Times auf den Tisch. »Hast du vielleicht schon irgendwelche Pläne für den heutigen Tag?«
    Robin zögerte. »Vielleicht sollte ich einen Spaziergang durch die Wälder im Westen unternehmen. In diesem Teil des Besitzes war ich bislang noch nicht.«
    »Ich kann kaum glauben, was für ein gemächliches Leben du jetzt führst«, sagte Giles und wußte selbst, wie übertrieben herzlich er sich anhörte. »Mitunter befürchte ich, du könntest ganz einfach verschwinden.«
    Sein Bruder lächelte. »Mach dir keine Sorgen, wenn das geschieht. Das würde nur bedeuten, daß ich auf etwas Interessantes gestoßen bin. Auf ein paar Zigeuner beispielsweise, mit denen ich unbedingt davonziehen mußte.«
    Giles wäre begeistert gewesen, wenn Robin etwas so interessant fände, daß es ihn zu Unvorhersehbarkeiten veranlaßte. Er stand auf.
    »Ich habe eine Besprechung mit dem Bürgermeister, die den ganzen Tag in Anspruch nehmen dürfte. Wir sehen uns dann also beim Dinner. Das heißt, wenn du nicht auf ein paar Zigeuner stößt.« Nachdem Giles gegangen war, machte sich Robin auf den Weg zur Küche, um sich für seine Wanderung zu versorgen. Die Köchin packte ihm das Vierfache dessen ein, was er vertilgen konnte. Sie war entschlossen, ihn ein wenig aufzupäppeln. Nur schade, daß sein Appetit dem nicht entsprach. Dann verließ er das Haus und strebte Richtung Westen. Die dichte Bewaldung machte das Reiten unmöglich, aber ihm war ohnehin mehr nach Laufen zumute. Er hatte gehofft, daß ihn der Frieden und die Vertrautheit von Wolverhampton von dem heilte, was ihn quälte. Bis zu einem gewissen Grad war das auch durchaus geschehen. Er war physisch kräftiger geworden und hatte weniger Alpträume.
    Er wußte keinen Ort, an dem er lieber sein würde.
    Und schon das allein war Hinweis genug darauf, daß irgend etwas entschieden nicht stimmte.
    Früher konnte sich Robin kaum entscheiden, welcher faszinierenden Aktivität er sich als nächster zuwenden sollte.
    Jetzt empfand er eine Art tiefer Melancholie, eine eher seelische denn körperliche Erschöpfung. Mit Ausnahme eines kurzen Aufenthalts in Ruxton hatte er seine Zeit in den letzten sechs Monaten mit Schlafen, Reiten, Spaziergängen und Lesen verbracht.
    Seine energischsten Aktivitäten hatten darin bestanden, den Verlockungen junger Ladies aus der Umgebung zu widerstehen. Bei den gesellschaftlichen Ereignissen des Winters waren die beiden Andrevilles gerngesehene Gäste gewesen. Obwohl Giles den Titel und das größere Vermögen besaß, ging man doch allgemein davon aus, daß er sich nicht wieder verheiraten würde, daher richtete die Damenwelt ihr Augenmerk vor allem auf Lord Robert. Er sah gut aus, besaß eine geheimnisvolle Vergangenheit, ausreichend Vermögen; und die Chancen, daß er eines Tages den Titel erben könnte, standen nicht schlecht.
    Robin seufzte tief auf und warf sich den Beutel mit seiner Verpflegung über die Schulter. Er hätte nichts dagegen gehabt, sich Hals über Kopf zu verlieben, aber es war unvorstellbar, eine der schlichten Gänschen zu heiraten, die er in den Herrschaftshäusern von Yorkshire kennenlernte.
    Er hatte Maggie als junges Mädchen zwar nicht gekannt, aber selbst mit siebzehn konnte sie unmöglich so unbedarft gewesen sein.
    Die Sonne stand hoch, es war ein warmer Tag, und Robin war froh, den Schatten des Waldes zu erreichen. Als er zu der kleinen Lichtung am Rand des Baches kam, brachte ihn der Hexenring zum Lächeln. Der Gärtner hatte gesagt, daß ein so großer Ring aus Pilzen Jahrhunderte alt sein mußte. Als Kind war diese Stelle für ihn verzaubert gewesen. Damals legte er sich hier unter einem Baum ins Gras, träumte von der Welt abseits von Wolverhampton und hoffte auf die Begegnung mit einer Fee. Vielleicht würde sich der alte Zauber auch jetzt wieder einstellen.
    Er setzte seinen Beutel ab, streckte sich unter einem Baum im Gras aus, verschränkte die
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