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Der Spion und die Lady

Der Spion und die Lady

Titel: Der Spion und die Lady
Autoren: Mary Jo Putney
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Vater und sich selbst gesorgt. Falls nötig würde sie sich irgendwo eine Arbeit suchen und die Überfahrt nach Amerika verdienen.
    Nachdem ihr Entschluß gefaßt war, sprang sie recht unladylike auf und strich sich ein paar Grashalme vom schwarzen Rock. Das Trauerkleid war ein Zugeständnis an die Feinfühligkeit ihrer englischen Verwandten; sie hätte ihr Leid nicht so öffentlich zur Schau gestellt. Nun, es wäre ja nicht mehr für lange.
    Eine halbstündige zügige Wanderung brachte sie zu Chanleigh Court zurück. Unglücklicherweise traf sie auf ihrer Abkürzung durch die Gärten auf ihre beiden Cousinen, die sich beim Bogenschießen vergnügten. Portia, die ältere, spannte den Bogen, verfehlte aber glatt die Schießscheibe aus knapp zehn oder zwölf Schritt Entfernung.
    Maxie wollte sich gerade zurückziehen, als Portia aufblickte und sie entdeckte. »Maxima, wie schön, daß du vorbeikommst«, rief sie unüberhörbar maliziös. »Vielleicht kannst du unsere Fähigkeiten ein wenig verbessern. Oder ist das Bogenschießen eine der modischen Vergnügungen, die man dir vorenthalten hat?«
    Portia war achtzehn Jahre alt, sehr hübsch, aber boshaft. Von Anfang an war sie ihrer Cousine nicht gerade freundlich entgegengekommen, aber seit durch Maximus Collins’ Tod ihre Einführung in die Londoner Gesellschaft verschoben werden mußte, verhielt sie sich so feindselig, als wäre Maxie persönlich dafür verantwortlich.
    Zögernd ging Maxie auf ihre Cousinen zu. »Ich kenne mich ein wenig im Bogenschießen aus. Wie bei fast allem macht Übung den Meister.«
    »Dann solltest du dich vielleicht um Übung im Frisieren bemühen«, entgegnete Portia giftig.
    An derartige Spitzen war Maxie inzwischen gewöhnt. »Du hast recht«, erwiderte sie ruhig.
    »Mein Äußeres läßt zu wünschen übrig. Ich hatte gehofft, ungesehen ins Haus schlüpfen zu können.« Selbst in ihren besten Zeiten waren ihre Haare zu lang, zu glatt und zu schwarz, um der gängigen Mode zu entsprechen. Und jetzt waren sie dazu noch windzerzaust.
    Im Gegensatz dazu wirkten Portia und Rosalind so adrett, als würden sie im Salon ihrer Mutter den Besuch von Verehrern erwarten. Sie waren auch größer als die Amerikanerin. Aber das war fast jeder.
    Der sechzehnjährigen Rosalind, ohnehin zuvorkominender als ihre Schwester, schien Portias Grobheit peinlich zu sein. »Möchtest du meinen Bogen haben, Maxima?« fragte sie in dem schüchternen Versuch, die Atmosphäre zu entkrampfen.
    Maxie ergriff den Bogen und spannte ihn mehrmals, um sich mit ihm vertraut zu machen.
    »Ich hätte wissen müssen, daß Bogenschießen ein Sport der Wilden war, bevor er allgemein in Mode kam«, murmelte Portia.
    Diese Bemerkung zerstörte Maxies Gelassenheit.
    Sie fuhr so zornfunkelnd zu ihrer Cousine herum, daß Portia unwillkürlich zurückwich. »Du hast völlig recht«, sagte sie mit gefährlich sanfter Stimme. »Es ist tatsächlich ein Sport für Wilde.
    Sieh zu, daß du mir aus dem Weg kommst.«
    Nach dem hastigen Rückzug ihrer Cousinen griff Maxie zu ein paar Pfeilen und zog sich so weit zurück, daß ihre Distanz zur Schießscheibe viermal so groß war wie die der Schwestern.
    Sie legte einen Pfeil ein und konzentrierte sich nicht nur auf das Zielen sondern auch auf die Vorstellung, wie es war, ein Pfeil zu sein, der sein Ziel suchte. Das war ihre erste und wichtigste Lektion im Bogenschießen gewesen.
    Dann ließ sie den Pfeil los. Einen Augenblick später bohrte er sich ins Zentrum der Schießscheibe.
    Während der erste Pfeil noch im Ziel zitterte, schickte sie ihm bereits den nächsten hinterher.
    In weniger als einer Minute steckten fünf Pfeile so dicht nebeneinander im Zentrum, daß sie sich berührten.
    Als Maxie den letzten Pfeil einlegte, wandte sie sich zu ihren Cousinen um, die schreckgelähmt zusahen, wie sie das Geschoß von der Sehne ließ.
    Der Pfeil bohrte sich in die Linde, unter der die Schwestern standen. Portia schrie entsetzt auf, als ihr ein paar Blätter auf den wohlfrisierten Kopf fielen.
    Maxie lief auf die beiden zu, gab Rosalind den Bogen zurück und sagte zu Portia: »Da ich eine Wilde bin, wie du vorhin bemerkt hast, habe ich auch einen Hang zu Chaos und Gewalttätigkeit.
    Das solltest du zu deinem Besten auf keinen Fall vergessen.«
    Dann machte Maxie auf dem Absatz kehrt und lief mit hocherhobenem Kopf ins Haus. Es war töricht gewesen, Portia gegenüber die Beherrschung zu verlieren, aber es hatte auch eindeutig etwas
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