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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition)
Autoren: Paolo Pacigalupi
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dass ›Jun‹ für Soldat steht. Bist du ein Soldat?«
    Wang Jun schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Bettler.«
    »Soldat Wang, der Bettler? Nein. Das passt nicht zusammen. Du bist einfach Soldat Wang.« Er lächelte. »Und jetzt verrate mir, Soldat Wang, warum treibst du dich hier im Regen in dieser dunklen Gasse herum?«
    Wang Jun schluckte. »Ich wollte die dunkle Brille des Ausländers haben.«
    »Tatsächlich?«
    Wang Jun nickte.
    Der Hunanese starrte ihm in die Augen, dann nickte er. »Na schön, kleiner Wang. Soldat Wang«, sagte er schließlich. »Du kannst sie haben. Geh da rüber. Und nimm sie dir, wenn du dich traust.« Der Griff des Tibeters lockerte sich, und Wang Jun war frei.
    Als er genauer hinsah, erkannte er, dass der Ausländer mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze lag. Nachdem ihm der Hunanese aufmunternd zugenickt hatte, trat er näher an den reglosen Körper heran, bis er direkt über ihm stand. Dann streckte er die Hand aus und zog am Haar des großen Mannes, bis sich auch das Gesicht tropfend aus dem Wasser hob und er an die teure Brille herankam. Wang Jun nahm dem Leichnam die Brille ab und ließ den Kopf behutsam in die Lache zurückgleiten. Der Hunanese und der Tibeter beobachteten ihn lächelnd, während er das Wasser von der Brille schüttelte.
    Dann krümmte der Hunanese einen Finger, um ihn zu sich heranzuwinken.
    »Und jetzt, Soldat Wang, habe ich noch eine Mission für dich. Diese Brille ist dein Sold. Steck sie ein. Nimm dies« – ein blauer Datenwürfel lag in seiner Hand – »und geh damit zur Renmin Lu -Brücke, die über den Bing Jiang führt. Gib ihn der Person mit den weißen Handschuhen. Sie wird dafür sorgen, dass sich deine Taschen ein wenig füllen.« Er beugte sich verschwörerisch zu Wang Jun hinab, legte ihm eine Hand in den Nacken und hielt ihn so, dass sich ihre Nasen berührten und Wang Jun den modrigen Atem des Fremden riechen konnte. »Wenn du ihn nicht dort ablieferst, wird mein Freund dich jagen und dafür sorgen, dass du stirbst.«
    Der Tibeter lächelte.
    Wang Jun schluckte und nickte, dann schloss er die kleine Hand um den Würfel. »Auf, auf, Soldat Wang. Erfülle deine Pflicht.« Der Hunanese ließ ihn los, und Wang Jun stürzte auf die Straßenlaternen zu; den Datenwürfel hielt er dabei fest umklammert.
    Das Paar sah ihm hinterher.
    »Denkst du, er wird überleben?«, fragte der Hunanese.
    Der Tibeter zuckte mit den Achseln. »Wir müssen darauf vertrauen, dass Palden Lhamo ihn von nun an beschützen und lenken wird.«
    »Und wenn sie das nicht tut?«
    »Das Schicksal hat ihn zu uns geführt. Wer vermag zu sagen, welches Los ihm beschieden sein wird? Vielleicht wird niemand einen Betteljungen durchsuchen. Vielleicht werden wir beide den morgigen Tag erleben, um das herauszufinden.«
    »Oder vielleicht erst nach einer weiteren Drehung des Rades.«
    Der Tibeter nickte.
    »Und wenn er auf die Daten zugreifen sollte?«
    Mit einem Seufzer wandte sich der Tibeter ab. »Dann ist auch dies vorherbestimmt. Komm, sie sind uns wahrscheinlich schon auf den Fersen.«
     
    Schwarz und schwerfällig wie ein Ölteppich floss der Bing Jiang unter der Brücke hindurch. Wang Jun hockte auf dem Geländer über rußverschmierten, in den Stein gehauenen Drachen und Phönixen, die in Wolken herumtollten. Er blickte auf den Strom hinab und beobachtete Kartons voller Styroporschnipsel, die träge auf der zähflüssigen Wasseroberfläche dahintrieben. Nachdem er sich geräuspert hatte, zielte er mit dem Rotz auf eine der Kisten. Doch er verfehlte sie, sodass der Schleim mit dem übrigen Abwasser verschmolz. Erneut besah er sich den Würfel. Drehte ihn in der Hand hin und her, wie er es bereits mehrfach getan hatte, während er auf den Mann mit den weißen Handschuhen gewartet hatte. Er war so blau und glatt, wie es nur hochentwickelter Kunststoff sein konnte. Fühlte sich an wie der winzige Plastikstuhl, den er einmal besessen hatte. Leuchtend rot, aber genau so glatt wie der Würfel. Darauf hatte er gesessen und gebettelt, bis ein stärkerer Junge ihm den Stuhl weggenommen hatte.
    Jetzt drehte er den blauen Würfel in den Händen, strich über seine Oberfläche und schob neugierig einen Finger in die schwarze Datenbuchse. Ob er wohl mehr wert war als die Brille, die er gerade trug? Sie war ihm zu groß und rutschte ihm deswegen ständig von der Nase. Aber es war so unglaublich, auch im Dunkeln wie bei Tag sehen zu können, dass er sie unbedingt aufbehalten wollte. Also
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