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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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zu schweigen und nahm ab.
    »Ja?« Erst machte er ein erwartungsvolles Gesicht, doch dann war seine Miene nur noch Ärger. »Nein. Nein! Ich bin im Gespräch. Ich rufe sie später zurück.« Statt aufzulegen, ließ er den Hörer einfach los, und mit einem Blick zu Martina fügte er hinzu: »Joana Vidal.«
    Sie schnaubte genervt.
    »Schon wieder?«
    Der Kommissar zuckte die Achseln.
    »In ihrer Sache gibt es nichts Neues, oder?«
    »Nichts. Hast du den Bericht gesehen? Der Fall ist glasklar. Der Junge hat nicht aufgepasst und ist aus dem Fenster gefallen. Reines Pech.«
    Savall nickte.
    »Ein guter Bericht übrigens. Absolut vollständig. Er ist von der Neuen, nicht wahr?«
    »Scheint ein kluges Mädchen zu sein.«
    Wenn es von Andreu kam, durfte man ein Lob ernst nehmen.
    »Ein tadelloser Lebenslauf«, sagte der Kommissar. »Jahrgangsbeste, vorzügliche Referenzen ihrer Vorgesetzten, Lehrgänge im Ausland ... Selbst Roca hat einen lobenden Bericht geschrieben, und mit Neuen kennt der keine Gnade. Wenn ich mich recht erinnere, ist da die Rede von einem Naturtalent für die Ermittlungsarbeit.«
    Martina wollte gerade eine ihrer bissigen feministischen Bemerkungen über das Talent und den mittleren Intelligenzquotienten von Männern und Frauen bei der Polizei anbringen, als erneut das Telefon klingelte.
    Im selben Moment setzte die junge Ermittlerin Leire Castro in der Kaffeeküche des Kommissariats ihr Naturtalent ein, um einen der ausgeprägtesten Züge ihres Charakters zu befriedigen: die Neugier. Einem Kollegen, der sie seit Wochen so liebenswürdig wie diskret anlächelte, hatte sie vorgeschlagen, zusammen einen Kaffee zu trinken. Er schien ein anständiger Kerl zu sein, sagte sie sich, und ihm Hoffnungen zu machen, verursachte ihr ein kleines Schuldgefühl. Doch seit sie in der Hauptwache an der Plaza Espanya war, hatte das Rätsel um Héctor Salgado ihre Wissbegier angefacht.
    Leire, den Espresso schon in der Hand, setzte nach ein paar höflichen Worten ihr schönstes Lächeln auf und kam zur Sache.
    »Wie ist er? Ich meine Inspektor Salgado.«
    »Du kennst ihn gar nicht? Ach ja, klar, du bist gekommen, als er in Urlaub ging.«
    Sie nickte.
    »Wie soll ich sagen«, fuhr er fort. »Ganz normal, sah zumindest so aus.« Er lächelte. »Bei Argentiniern weiß man nie. Ein paar Tage bevor alles passierte hätte ich dir gesagt, dass er ein ruhiger Mensch ist. Nie ein lautes Wort. Effizient.Stur, aber geduldig. Na ja, ein guter Polizist eben. Von der gewissenhaften Sorte, eine richtige Spürnase. Und plötzlich, zack, setzt sein Verstand aus und er dreht durch. Wir waren alle völlig baff. Wir haben schon genug schlechte Presse, und dann das.«
    »Was ist eigentlich passiert? Ich habe etwas in der Zeitung gelesen, aber ...«
    »Er hat den Kopf verloren. Nicht mehr und nicht weniger. Keiner sagt es laut, weil er Inspektor ist und so weiter, und der Kommissar hat ihn immer sehr geschätzt, aber so ist es. Er hat den Kerl halb totgeprügelt. Es heißt, er hätte seine Entlassung beantragt, aber der Kommissar hätte das Schreiben zerrissen. Jedenfalls hat er ihn einen Monat in Urlaub geschickt, bis die Wogen sich glätten. Und die Presse hat sich auch nicht weiter auf das Thema gestürzt. Hätte schlimmer kommen können.«
    Leire nippte an ihrem Kaffee. Er schmeckte seltsam. Was hätte sie für eine Zigarette gegeben, aber sie hatte beschlossen, mit der ersten bis nach dem Mittagessen zu warten, und das waren noch mindestens vier Stunden.
    »Ich werde alles abstreiten, was ich dir gesagt habe«, sagte er lächelnd. »Du weißt ja, alle für einen und einer für alle, wie die Musketiere. Aber es gibt Dinge, die sind nicht gut. Ich muss jetzt gehen, die Pflicht ruft.«
    »Klar«, sagte sie zerstreut. »Bis später.«
    Sie blieb noch kurz in der Küche und dachte nach über das, was sie zu Inspektor Salgado gelesen hatte. Im März, vor knapp vier Monaten, hatte Héctor Salgado eine Operation gegen den Frauenhandel geleitet. Seine Leute waren schon mindestens ein Jahr hinter einer Mafia her, die junge afrikanische Frauen, hauptsächlich aus Nigeria, ins Land schleuste und mit ihnen mehrere Bordelle in Vallès und Garraf versorgte. Je jünger, desto besser, was sonst. Die aus Osteuropaund aus Südamerika waren aus der Mode gekommen, sie waren zu schlau und zu anspruchsvoll. Die Freier wollten blutjunge, verängstigte Schwarze, mit denen sie ihre niedersten Triebe befriedigen konnten, und die Händler hatten sie auch besser im
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