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Der Sommer der Legenden

Der Sommer der Legenden

Titel: Der Sommer der Legenden
Autoren: Sarah Eden
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hinter sich. Vielleicht nur, um wirklich allein zu sein.
    Trotz des Neonlichts wirkte alles ringsum sanft verzaubert, und sie fühlte sich in die Tage ihrer Kindheit zurückversetzt, als sie in der Dachkammer ihrer Großeltern nach verborgenen Schätzen geforscht hatte.
    Gleichzeitig belastete sie die vertraute, aber so lange vermisste Atmosphäre.
    Unwillkürlich dachte sie noch stärker an Taylor. Wie erging es ihrer Tochter wohl gerade in diesem Moment? Lebte sie überhaupt noch?
    Draußen war es dunkel geworden. Irgendwie machte das Taylors Abwesenheit noch unerträglicher.
    Carol überlegte, ob sie umkehren sollte, zurück zu Fisher. Doch der Gedanke, in dem Mann, den sie liebte, das Spiegelbild ihrer eigenen Verzweiflung sehen zu müssen, hielt sie davon ab.
    Und dann geschah etwas, was sie später selbst nicht mehr ganz verstand: Sie tauchte hinein in das unüberschaubare Wirrwarr gestapelter Erinnerungen, ausrangierter Geräte und vergessener Träume.
    Für kurze Zeit vergaß sie einfach ihre depressive Stimmung, die Sorgen, die sie quälten und die Angst vor der Zukunft.
    Sie hob den Deckel schwerer, alter Truhen an, blätterte in verstaubten Alben, öffnete vergilbte, brüchige Briefe und las ein paar Zeilen.
    Manchmal ertappte sie sich dabei, wie ihre Gedanken zurück schweiften und Zusammenhänge zu begreifen suchten, die sie als Kind zur Kenntnis genommen, aber nicht verstanden hatte.
    Auch jetzt gelang es ihr nicht, aus dem Kaleidoskop einzelner Bilder und Schriften ein zusammenhängendes Bild zu formen.
    Doch dann stutzte sie plötzlich und spürte, wie sie schlagartig ernüchterte.
    Sie fand sich auf dem Dielenboden neben einer Truhe kauernd und fühlte sich wie gewaltsam aus einem schönen, wehmütigen Traum herauskatapultiert.
    Auf ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum mit fleckigen, sehr alten Schwarzweiß- Aufnahmen.
    Ihr Blick wurde wie magisch von einer einzelnen Fotografie angezogen.
    Sie zeigte eine grausame Szene. Zwei schwerbewaffnete Weiße standen in der Haltung von Triumphatoren vor mehreren am Boden liegenden halbnackten Indianern, von denen die meisten schreckliche Verwundungen aufwiesen. Danach zu schließen, mussten die Rothäutigen tot sein. Umso unverständlicher das hämische Grinsen, das die Gesichter der beiden Männer in Westernkluft verzerrte.
    Sie postierten wie Großwildjäger, die eine seltene Beute erlegt hatten und nun eine Aufnahme für ihre Trophäensammlung fertigen ließen.
    Carol hob das Album etwas näher zum Licht und zu ihren Augen.
    Aufgewühlt erforschte sie die Gesichter der zwei Weißen, als müsste sie sich vergewissern, dass es sich dabei wirklich um Menschen handelte.
    Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, als sie vertraute Züge bei beiden Männern zu erkennen meinte...
    Nein, verwarf sie den jähen Verdacht, der dennoch weiter in ihr bohrte. Das kann nicht sein... Onkel John?
    Sie stöhnte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Und der andere...
    Reverend Storm...?
    Sie zweifelte an ihrem Verstand. Ihr Onkel war doch kein Schlächter gewesen. Und der Reverend... ein Mann Gottes und der Kirche...
    Sie schüttelte heftig den Kopf, als könnte sie sich damit von ihren eigenen Zweifeln befreien.
    Hart schlug sie das Album zu, legte es beiseite und erhob sich vom Boden.
    Plötzlich begann das Licht zu flackern.

    Carol beeilte sich, zur Tür zu kommen, doch da erlosch das Licht vollends, und undurchdringliche Finsternis umgab die junge Frau.
    Carol schrie gellend auf. Sie war mit ihrer Kraft am Ende. Das Bild hatte ihr den Rest gegeben.
    Mit einem Mal hatte sie die Wirklichkeit mit all ihren Schrecknissen wieder völlig eingeholt. Taylor! Wo bist du? dachte Carol hysterisch.
    Sie stolperte über eine Kiste. Der Schmerz schoss von den Zehenspitzen aufwärts, vernebelte ihren Verstand noch mehr, aber sie stürzte nicht. Mit dem letzten Rest Beherrschung schaffte sie es bis zur Tür und riss sie auf.
    Doch auch auf dem Gang empfing sie tiefe Dunkelheit.
    Carol schrie erneut auf.
    Von weit unten hörte sie Fishers Stimme wie durch Watte: »Carol? Bleib, wo du bist! Rühr dich nicht von der Stelle! Ich komme dich holen!«
    Als er Minuten später in der trüben Aura einer alten Petroleumlampe bei ihr anlangte, fand er sie schluchzend auf der höchsten Treppenstufe sitzen.
    Sie fühlte sich taub und leer und ausgebrannt, wie eine tausendjährige Greisin.
    Fishers Worte erreichten sie dennoch.
    »Er hat angerufen«, stieß er atemlos hervor und packte sie an den
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