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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler
Autoren: Robert Hueltner
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Klang es unter seinen Sohlen plötzlich anders? War da jetzt statt des Knirschens des feinen Schotters nicht ein schlammiges Schmatzen?
    Wasser, dachte Vester, auch das noch. In diesem Augenblick sah er, dass die Lampenflamme wild zu flackern begann. Severin kam ihm im Laufschritt entgegen.
    »Kumpani, ich –«, begann Vester. Severin wollte nichts mehr hören.
    »Wasser!«, stieß er hervor, die Stimme voller Panik. »Raus!!« »Pumpen!!«, schrie Vester.
    »Was tun wir denn seit Stunden?!«, heulte Severin. »Raus! Der Berg kommt!«
    Hinter ihm waren die schwankenden Lichter der anderen zu erkennen. In ihre hallenden Schreie mischte sich ein fernes, dumpfes Wummern, das zu einem betäubenden Grollen anschwoll und sich mit rasender Geschwindigkeit näherte.
    »Ist noch wer hinten?!«, brüllte Vester.
    »Der Krister! Aber ’s ist zu spät! Raus!«

3
    A us dem Fenster seines Amtszimmers beobachtete Bergrichter Ratold das kleine Grüppchen Dörfler, das sich um das in die Prangerzwinge geschlossene Mädchen geschart hatte. Er konnte nicht hören, was gesprochen wurde. Wurde gar geschwiegen? Was war das doch früher immer für ein Gejohle gewesen! Oft hatte er einschreiten müssen, wenn das Verhöhnen einer Verurteilten in Handgreiflichkeiten auszuarten drohte. Nichts davon war jetzt zu sehen. Hatte es damit zu tun, dass er das Rußegger-Lieserl nicht, wie in den meisten Fällen, wegen eines Vergehens gegen die Sittlichkeit zum Pranger-Stehen verdonnert hatte, sondern weil sie mit einem Bündel Reisig im Hassl-Wald ertappt worden war?
    Es war der Hassl-Bauer selbst gewesen, der die ansonsten kreuzfromme Halbwüchsige zu ihm gezerrt und strengste Bestrafung gefordert hatte. Der Bergrichter fand die Aufregung des Bauern angesichts des geringen Schadens zwar ein wenig übertrieben, hatte aber keine Wahl. Das Gesetz war eindeutig, und Nachsichtigkeit gegenüber Waldfrevlern war darin nicht vorgesehen, auch wenn es sich um bitterarme Dörfler handelte.
    Der Bergwerksbesitzer Anton Paccoli war an seine Seite getreten.
    »Ich beneide Sie nicht«, seufzte er.
    »Wen?« Richter Ratold wandte sich erstaunt um. Meinte sein Gast etwa das Mädchen?»Ich meinte selbstverständlich Sie, Herr Bergrichter«, klärte ihn Paccoli auf. Der Bergrichter nickte stumm. Paccoli hatte es richtig erkannt. Ratold liebte seinen Beruf schon lange nicht mehr.
    In den ersten Jahren seiner Amtszeit war er noch dem verhängnisvollen Glauben angehangen, dass es einen guten Kern bei seinen Untertanen geben müsse. Er war behutsam vorgegangen, hatte jeder seiner richterlichen Handlungen wohlmeinende Belehrungen hinzugefügt, er hatte Rücksicht auf Bündnisse, alte Rechte und hergebrachte Besonderheiten genommen, den Kirchenchor mit gespendeten Instrumenten gefördert, Scholaren mit ihren geistlichen Spielen eingeladen, hatte die Entsumpfung von Nasswiesen und den Ausbau der armseligen Dorfschule angestoßen, die Armenpflege reorganisiert und eine Bruderkasse gegründet, die jene unterstützen sollte, die durch unverschuldetes Unglück in Not geraten waren. Er hatte die Kleidervorschriften für die jungen Frauen konkretisiert – wie kurz der Rock höchstens sein durfte, bis wohin die Brüste verhüllt sein mussten, wann es ausnahmsweise erlaubt war, ein ärmelloses Hemd zu tragen. Voller Leidenschaft hatte er gegen allerlei heidnische Volksbräuche gepredigt, hatte gegen das wilde Perchtenlaufen in den Rau- und Klöpfelnächten gewettert, den Glauben an Berg- und Waldgeister und die schwarze Magie verdammt. Den Einbau von Feuermauern zwischen Wohn- und Wirtschaftstrakten hatte er hartnäckig kontrolliert, war ihm doch aufgefallen, wie oft Bauernhäuser vollständig in Flammen aufgingen, weil diese Vorschrift missachtet worden war. Den Zehnt hatte er mit Augenmaß eingetrieben, Frondienste so gerecht wie möglich verteilt, und wo seine Kollegen in den angrenzenden Hofmarken schroff mit Strafe drohten, hatte er die Ablehnung des Heiratswunsches so manch armer Schlucker mit väterlichen Ratschlägen garniert.
    Bei seinen Handlungen als Strafrichter war sein Ziel gewesen, seine Urteile stets als Destillat der allgemeinen Moral erkennbar zu machen – es musste, so träumte er damals, doch Ziel allerMenschen, so auch der Bevölkerung seines Gerichtssprengels sein, zu einem Zustand von Zivilisiertheit, Frömmigkeit und sozialer Harmonie zu gelangen.
    Doch manchmal hatte er sich merkwürdiger Gedanken zu erwehren gehabt. Konnte es sein, dass die immer wieder
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