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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler
Autoren: Robert Hueltner
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den Gipfeln des langgestreckten Kogelberg-Massivs gelegen, schienen es besser getroffen zu haben. Doch die unruhig durch den Berg fahrende Erzader hatte das Vorwärtskommen beschwerlich werden lassen. Überraschte sie an manchen Tagen mit ordentlicher Ausbeute, so erwies sie sich wenige Meter weiter als endgültig taub. Ein Labyrinth aus auf- und niederlaufenden Gängen, Quer- und Senkrechtstollen war entstanden. Nur noch die Bergleute fanden sich in ihren Katakomben zurecht, war doch jeder Schrund, jede Zweigung und jeder Durchbruch mit ihrem Schweiß erkämpft.
    Noch dazu hatten sie vor einigen Monaten eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Eine mächtige, wie geschliffen glatte Verwerfung hatte sich aus dem Fels geschält. Das Gestein wurde nachgiebiger, es brach bereitwillig unter den Schlägen der Hauer, und auch der Erzgehalt schien zuzunehmen. Doch von Meter zu Meter wuchs die Gefahr eines Einsturzes. Das Zimmerer-Holz, das der Verpächter laut Vertrag bereitzustellen hatte, war bereits nach wenigen Wochen aufgebraucht. Die Bergleute mahnten Nachschub an. Paccoli zeigte Verständnis, klagte über kurzfristige Engpässe und allerlei organisatorische Schwierigkeiten, die er zwar unendlich bedaure, für die er aber nicht verantwortlich sei.
    Gegen Ende August musste auf diesen Höhen bereits mit dem ersten Schnee gerechnet werden. Um keine Zeit zu verlieren – der Winter, in dem die Stollenmünder von meterdickem Schnee bedeckt waren, musste mit dem Ersparten überstanden werden –, verfielen sie auf die Idee, die nötigen Stützbalken und Planken aus einer nahegelegenen, vor Jahrzehnten aufgegebenen Grube auszubauen. Der Bergzimmerer Tamerl gab sich alle Mühe, doch die Fichtenplanken splitterten, die moosschlierigen Trämme waren von Nässe schwer oder vom Wurmfraß ausgehöhlt. Jeder zweite Balken überstand den Transport zur benachbarten Grube nicht.Erst gestern hatte es wieder Streit gegeben. Vester hatte dafür plädiert, die Arbeit einzustellen, bis Paccoli das Stützholz endlich angeliefert habe. Alles andere sei zu riskant. Schnell hatten sich zwei verbissen bekriegende Gruppen gebildet. Vester hatte schließlich angekündigt, heute ins Tal hinabzusteigen. Er wollte im Bergamt vorsprechen und dem Verpächter ein Ultimatum stellen.
    Das hatte er an diesem Nachmittag auch getan. Paccoli jedoch war geschäftlich unterwegs. Der Bergschreiber gab sich ahnungslos. Der Holzeinschlag habe seines Wissens schon vor einigen Wochen stattgefunden. Dass es noch nicht geliefert worden sei, könne er sich nicht erklären. Vielleicht gab es Transportprobleme? Vester solle sich gedulden, er, der Schreiber, würde der Sache nachgehen. Drohungen verbiete er sich jedoch mit aller Entschiedenheit. Und was den Kontrakt betraf – Vester solle ihn sich genauer ansehen. Stand darin etwa, wann auf den Tag genau geliefert werden müsse? Na also. Klar machen müsse er sich auch, dass der Pachtvertrag jederzeit aufgelöst werden könnte. Vom Herrn Bergrichter wäre jedenfalls in dieser Sache keine Unterstützung zu erwarten. Diesem läge vor allem daran, dass der Unternehmer im Ort verbleibe. Zudem, und bei diesen Worten zuckte der Mundwinkel des Schreibers eigenartig, sei der Herr Bergrichter ein Freund und Bewunderer Paccolis. Er würde also nicht empfehlen, vor Gericht zu ziehen.
    Das musste Vester jetzt seinen Männern erklären. Sie würden ihm vorwerfen, nicht mit dem nötigen Nachdruck aufgetreten zu sein, und vermutlich hatten sie Recht. Ein erfahrener und umsichtiger Steiger mochte er sein, doch das Verhandeln war nie seine Stärke gewesen. Gut, das würde er überstehen. Um seine Stellung als Steiger hatte er sich nie gerissen. Wenn einige seiner Leute meinten, es besser zu machen, sollten sie es ruhig versuchen. Klar war nur eines: Der Abbau musste augenblicklich abgebrochen werden, so viel versprechend das Gestein auch sein mochte. Die Verwerfung musste umgangen werden, mit einem neuen, einige Meter höher gesetzten Anschlag könnte es gelingen.Zögernd ging Vester auf den Stollenmund zu. Er zog seine Kapuze über den Kopf, duckte sich unter den Balkensturz, entnahm einer Nische die Lampe und entzündete sie. Wieder kroch ihm ein Schauer über den Rücken. Etwas befahl ihm, sofort umzukehren.
    Nach wenigen Metern war vom Tageslicht nichts mehr zu sehen. Eine merkwürdige Stille umgab Vester. In seinen Ohren rauschte es. Eine Weile hörte er nichts als seinen Atem und seine Schritte auf den Planken.
    Er blieb stehen.
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