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Der Sommer der Gaukler

Der Sommer der Gaukler

Titel: Der Sommer der Gaukler
Autoren: Robert Hueltner
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anderen Damen des Ensembles hatte sie nie für voll genommen. Demoisell Mayer beispielsweise war zu jung und darüber hinaus eine zu schlechte Schauspielerin. Bei Salome Bichler lag der Fall jedoch ein wenig anders. Auch wenn sie nie an das Können Eleonoresherankäme (wer weiß aber, ob sie vielleicht bisher einfach noch keine Gelegenheit bekommen hatte, es zu zeigen?), so war sie doch eine gute, für ihr Alter bereits sehr routinierte Schauspielerin. Schnell in der Auffassung, mitreißend lustvoll in jede neue Verwandlung schlüpfend, ihre Rollen mit Glaubhaftigkeit und dennoch eigener Persönlichkeit versehend, mit raffiniert gesetztem, das Publikum betörendem Charme. Schon stand Demoisell Bichler bei den meisten Aufführungen, in denen Madame Schikaneder die Hauptrolle spielte, auf der Ausfallliste. Dass sie hätte einspringen müssen, war bisher allerdings noch nicht eingetroffen. Vor allem dann, wenn Eleonore Schikaneder mitbekommen hatte, dass Demoisell Bichler die entsprechende Rolle schon synchron mitsprechen konnte, bewies sie ihre eiserne Gesundheit. Doch so gefährlich sicher der Instinkt Eleonores auch sein mochte – er konnte ihr unmöglich gesagt haben, dass Demoisell Bichler vor einigen Tagen eine günstige Gelegenheit beim Schopf ergriffen hatte, die Nachfolge der tränenreich verabschiedeten Fanny anzutreten.
    Der Wagen war wieder in heftige Schaukelbewegung geraten. »Die Straß ist einfach die Höll«, setzte Madame Schikaneder wieder an. »Und außerdem ein Umweg.«
    »Aber landschaftlich viel attraktiver«, gab Schikaneder launig zurück.
    Madame schwenkte ihre Augen nach draußen. Zweifelnd hob sie die Brauen.
    »Auch wenn man mehr sehen könnt, wärs Ansichtssach. Sag – warum müssen wir unbedingt über den alten Jochenpass? Warum haben wir nicht die neue Straß genommen?«
    Schikaneder fuhr gereizt herum. »Weil ich mich erstens um das Wohl meiner Leute zu bemühen hab –«
    Wieder geriet der Wagen ins Schaukeln.
    »Ich merks«, sagte Madame.
    »Und weil zweitens deine kommode neue Straß eine Maut kostet, deren Höhe jeden Raubritter in höchsten Zweifel stürzen würd, ob er sich nicht doch den verkehrten Beruf ausgesuchthat! Und weil«, jetzt legte Schikaneder eine verächtliche Schärfe in seine Stimme, die sie zugleich hasste und fürchtete, »weil weiters das Wort ›kostet‹ mit dem Wort ›Kassa‹ nicht bloß den gleichen Anfangsbuchstaben, sondern auch sonst ziemlich viel gemeinsam hat!«
    Madame Schikaneder, vom Ausbruch ihres Mannes überrascht, war ein wenig von ihm abgerückt. Sie hätte einiges als Antwort parat gehabt, oh!, und gerade zum Thema ›Kassa‹! Aber nicht hier. Nicht vor Mitgliedern des Ensembles.
    Er maß sie mit einem erstaunten Blick. Dann brummte er etwas, das wie ein Einlenken klingen sollte.
    »Außerdem hab ich mich selbstverständlich erkundigt«, sagte er versöhnlich. »Die alte Straß ist noch in bestem Zustand!«
    Er hatte noch etwas ähnlich Beruhigendes hinzufügen wollen, kam aber nicht mehr dazu. Der Wagen kam abrupt zu stehen. Dann, unter dem Kreischen der Frauen, Wiehern der Pferde und dem cholerischen Gebrüll des Kutschers, kippte er sacht zur Seite. In Richtung Abgrund.

2
    V ester war noch keine Dreißig, aber sein von drahtigem Bartgestrüpp und zerzaustem Schopf gerahmtes Gesicht war fahl olivfarben wie das aller Bergleute. Die dünngewetzte juchtene Hose und der gewalkte, mit Flickaufsätzen übersäte Rock um- schlotterten seinen knochigen Körper. Bevor er in das Dunkel des Berges trat, blieb er stehen und sah nach oben. Der Himmel war grau wie der verwitterte Kalk des Gebirges, pfeifender Wind und Dohlen durchsichelten die Luft, und um die Schroffen des Kogelberges klumpten sich Gewitterwolken. Ein Unwetter um diese Jahreszeit war nichts Ungewöhnliches. Trotzdem befiel den Steiger eine plötzliche Unruhe.
    Etwas braute sich zusammen.
    Vester war wenig abergläubisch, nicht einmal besonders gläubig. Zwar stand er nie abseits, wenn die Heilige Barbara wieder einmal um reiche Ausbeute und Schutz vor Stolleneinstürzen angefleht wurde. Betrachtete er aber das Bildnis der Schutzheiligen, befiel ihn jedesmal Skepsis. Wie sollte ihnen dieses zerbrechliche Weibsbild mit seinem himmelwärts gerichteten Blick helfen können, wenn es hart auf hart ging? Und wenn die Alten von ihren Begegnungen mit den Stollengeistern fabelten, wollte er nichts davon wissen.
    Und dennoch hatte ihn in den letzten Monaten häufiger das vage Gefühl
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