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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Autoren: Torsten Fink
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Gesicht.
    »Sand«, sagte Eri düster.

    Awin biss sich auf die Lippen. Es durfte nicht sein! Vor einer Woche waren sie auf das erste zerstörte Lager gestoßen. Sie hatten sich lange in wilden Vermutungen ergangen, wer für die Zerstörung verantwortlich sein könnte, nur weil sie sich nicht eingestehen wollten, was sie im Grunde ihrer Herzen wussten. Sie hatten sich eingeredet, es könnte ein Zufall sein - ein anderer Feind musste dieses Lager zerstört haben, und nur zufällig war die von ihnen in die Flucht geschlagene Slahan darübergezogen. So hatten sie sich den allgegenwärtigen Sand erklärt. In feinen Schleiern lag er überall, wo ihn der eisige Nordwind nicht hatte aufnehmen und forttragen können.
    Es war ein erschreckender Anblick gewesen, selbst für die Krieger der Hakul: die toten Pferde und Schafe, von Geiern und anderen Aasfressern nur halb abgenagt, weil die tödliche Ernte so reich war, die zahlreichen, hastig in die gefrorene Erde gekratzten Gräber, die zusammengefallenen Zelte und diese bedrückende Stille, die über der Zerstörung lastete. Selbst die Aasfresser waren weitergezogen, und sie erfuhren bald, warum: Zwei Tage später fanden sie das zweite zerstörte Klanlager. Ab da gab es keine Zweifel mehr, dass Slahan für diese Verwüstung verantwortlich war, denn wieder fand sich feiner Sand im weiß gefrorenen Gras. Es war die Gefallene Göttin, die sie in Uos Mund besiegt hatten. Und sie zog eine breite Spur der Verwüstung durch Srorlendh. Die Spur war leicht zu verfolgen, und dennoch gab sie ihnen Rätsel auf. Sie lief nach Nordosten, schwenkte plötzlich nach Westen und verlor sich in der Wüste. Dort verfolgten sie sie nicht weiter, glaubten sie doch, der Zorn der Göttin habe sich wieder gelegt. Aber die Spur kreuzte später wieder ihren Weg, lief abermals nach Nordost, nur um dann erneut nach Westen abzubiegen. Es war Curru, der das Rätsel schließlich löste: »Es ist Fahs’ Fluch. Die Göttin kann kein offenes Wasser überqueren, sie kann ja nicht einmal davon
trinken. Also ist jeder kleine Bach für sie ein unüberwindbares Hindernis.«
    Das war einleuchtend, aber auch beunruhigend, denn sie kehrte immer wieder in das Staubland zurück, wenn sie einen Bachlauf umgangen hatte, und stets kamen der Sturm, die Zerstörung und der Tod mit ihr. Auf Umwegen führte ihr Weg sie so immer weiter nach Norden. Keiner von ihnen sprach es aus, aber jeder fürchtete, dass Slahan in ihrem Rachefeldzug auch das Lager ihres eigenen Klans überfallen könnte. Von diesem Augenblick an war aus ihrem Ritt eine grimmige, aber hoffnungslose Jagd geworden. Die Göttin war ihnen fast zwei Wochen voraus. Und sosehr sie ihre Pferde auch antrieben, sie wussten, sie konnten den Sturm nicht einholen. Sie ließen alle Vorsicht außer Acht und folgten der Göttin mitten durch Horkets Weideland, obwohl sie hier das Schlimmste befürchten mussten. Heredhan Horket hatte ganz sicher nicht vergessen, dass Eri seinen Vetter getötet hatte.
    »Es ist nicht gesagt, dass sie unser Lager findet. Es liegt geschützt«, meinte Curru jetzt.
    Merege schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum dieser Knabe überhaupt vom Pferd gestiegen ist. Seht ihr nicht, dass sich das Land verfärbt hat, so weit das Auge reicht? Selbst der reine Nordwind, der hier das Gras unablässig mit weißem Atem überzieht, kann den Sand nicht tilgen. Slahan ist hier durchgekommen, mit aller Macht, über die sie noch gebietet, und wenn es stimmt, dass euer Lager hier in der Nähe liegt, bräuchte es weit mehr als einfaches Glück, um dem Hass der Göttin zu entgehen.«
    »Achte auf deine Worte, Hexe. Tengwil könnte dich hören«, zischte Curru wütend.
    »Es ist doch schon Tage her, dass sie hier durchkam«, nahm Awin das Mädchen in Schutz.

    »Ich sehe hier keine Toten, weit und breit nicht«, sagte Eri.
    »Ein schlechtes Zeichen«, entgegnete Merege trocken.
    Awin wollte dazu nichts sagen. Die Leichen, auf die sie immer wieder stießen, waren das Schlimmste. Zunächst hatte Awin sich eingeredet, es handele sich um Tote, die der Sturm irgendwie aus der Erde gewühlt hatte, aber bald war klar, dass der furchtbare Anblick der toten Körper daher rührte, dass Slahan sie ausgesaugt und nicht viel mehr als eine vertrocknete Hülle übrig gelassen hatte.
    »Immer hat sie Durst«, warf Curru jetzt ein. »Ich kann ihn fühlen, ebenso ihren Hass, den diese Hexe und mein ehemaliger Schüler geweckt haben.«
    Auch auf diese Bemerkung ging Awin nicht ein.
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