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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Autoren: Torsten Fink
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als sich die Finsternis des Sandsturms auf das Zelt legte. Das Stöhnen draußen wuchs zu einem Brüllen an, und wieder wankte das Zelt unter dem wütenden Nyet. Die Werkzeuge und Gerätschaften, die der Bogner an die innere Zeltwand gehängt hatte, klapperten unruhig. Besorgt musterte Tuge die Stangen. Bis jetzt hatte sein Zelt jedem Sturm standgehalten, doch nun rüttelte eine Göttin an seinen Pfosten. Hakul-Zelte waren geweiht, ein alter Brauch aus jener dunklen Zeit, als Xlifara noch oft über das Staubland gekommen war. Der Bogner fragte sich, ob die alten Zauber noch wirkten. Das Brüllen Nyets vermischte sich mit einem alles durchdringenden Heulen und Stöhnen, das wenig Irdisches an sich hatte. Tuge sah, dass Kolyn mit den Tränen kämpfte.
    »Sie kann nicht herein«, versuchte er ihn zu beruhigen. Der Junge nickte tapfer. Ein reißendes Geräusch erklang vom Eingang. Dort machte sich jemand an den Häuten zu schaffen. War das nur der Wind? Sechs Augen schauten gebannt auf die doppelte Lederhaut. Plötzlich stieß die Spitze eines Dolchs hindurch. Noch einmal. Und dann schnitt die Klinge, sorgsam geführt, die Verschlussleinen auf. Wer immer dort draußen mit dem Sturm gekommen war, er kannte die Art, wie die Hakul ihre Zelte bauten. Die Lederhäute wurden zurückgeschlagen. Sand und Staub wirbelten herein, und mittendrin zeichnete sich der Umriss eines Mannes ab. Wela schrie auf. Es war ein Hakul, die Tracht war unverkennbar, aber in dem Flackern, das ihr schwaches Feuer über sein Gesicht huschen ließ, stachen zwei Augen hervor, die nichts Menschliches an sich hatten. Sie
waren vollkommen gelb. Der Fremde hielt den Dolch in der Hand und hob den Fuß, um das Zelt zu betreten. Hinter ihm war ein zweiter Umriss zu erahnen. Der Mann mit den gelben Augen zögerte, als er den Bottich bemerkte. Er zischte, und Sand rann aus seinem Mund.
    Plötzlich durchschnitt ein helles, kurzes Sausen das Heulen des Sturms, und ein gefiederter Pfeil durchbohrte dem Eindringling die Brust. Er stolperte zurück und sackte noch auf der Schwelle zusammen. Der Schatten hinter ihm stieg über den Gefallenen. Auch er trug die Kleidung eines Hakul, und auch ihm waren diese furchtbaren gelben Augen zu eigen. Er verharrte am Eingang, starrte auf den Trog und wurde von einem zweiten Pfeil zurückgeworfen. Tuge ließ den Bogen sinken. Er spürte, dass ihm der kalte Schweiß ausgebrochen war. Sand wirbelte durch den zerschnittenen Eingang hinein.
    »Was war das, Meister Tuge?«, fragte Kolyn zitternd.
    Der Bogner antwortete nicht, sondern legte einen weiteren Pfeil auf die Sehne. Er lauschte auf den Sturm und die grausamen Stimmen, die den Wind begleiteten. Das Zelt ächzte unter der Wut Nyets, die Stangen knackten, und dann hörte Tuge, wie eines der Halteseile riss. Xlifara Slahan rüttelte an seinem Zelt, und er vermeinte zu spüren, wie ihr uralter Hass auf alle Menschen sich einen Weg durch die Nähte und Lederhäute suchte, ja, er war sich sicher, dass sie erst von ihnen ablassen würde, wenn sie alle tot waren.

Frostland
    DER ATEM DER Pferde bildete flüchtige Wolken in der kalten Luft. Awin schlug den Sandschal zurück. Sofort fuhr ihm der eisige Nordwind ins Gesicht. Er zog die grob zugeschnittene Lederhaut, die er über seinem Gewand trug, enger an sich, ohne allzu viel Linderung zu erwarten. Die Kälte war ihm in die Knochen gekrochen, und sie schien nicht die Absicht zu haben, von dort so bald wieder zu weichen.
    »Ein seltsamer Winter ist das. Wenn wenigstens Schnee liegen würde«, sagte Merege.
    Die Kariwa hatte ein Schaffell nachlässig über die schmalen Schultern gelegt, und es war offensichtlich, dass ihr der kalte Wind nichts ausmachte. Awin hingegen sehnte sich nach einem Zelt und einem wärmenden Feuer. Es war nicht mehr weit bis zu den Hügeln, in denen der Klan Jahr für Jahr sein Winterlager aufschlug. Er zitterte. Viel schlimmer als die Kälte war jedoch die Angst, dass er auch dort das Schreckensbild vorfinden würde, das er nun schon dreimal gesehen hatte. Unruhig sah er zu, wie Eri durch das weiße Gras schritt, den Blick auf den Boden geheftet. Es war schon richtig, die Pferde brauchten eine Pause, auch die Reiter brauchten eine Rast, aber er wollte weiter. Aus dem Augenwinkel sah er hinüber zu Curru. Der ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn die Pfeilwunde aus der Schlacht am Glutrücken immer noch plagte, aber wenn er sich unbeobachtet fühlte, so wie jetzt, stahl sich ein Ausdruck des Schmerzes in sein
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