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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Das überrascht mich, denn eigentlich hatte ich damit gerechnet, daß ein anderer die Stille durchbrechen würde - Evans vielleicht oder De Car-dou. Aber nein, ich weiß, daß der bescheidene Pemberton unser Oberster ist, der Erste Prinzipal. »Wenn Sie das Martyrium erleiden wollen, so wie wir es erlitten haben«, erklärt er, »dann brauchen Sie nichts weiter zu tun, als einen Schritt vorzutreten.«
    Das tue ich auch, und ohne auch nur einen Augenblick lang zu zögern. Ich habe genug von der Bruderschaft und ihrem Wirken gesehen, um diesen Männern blind zu vertrauen. Eine zweite Aufforderung brauche ich nicht; ich hätte ohnehin keine erhalten. Also trete ich den besagten Schritt vor, und die Initiation beginnt.
    Sofort ergreifen mich zwei Mitglieder des Inneren Tempels - jeweils einer auf jeder Seite - und heben meine Arme in die Höhe, während ein dritter mir ein dickes, gepolstertes Band um die Hüfte legt. Dann werde ich zu einem kleinen Tisch in der Mitte der Krypta geführt.
    Eine einzelne Kerze wird entzündet, und in ihrem Licht sehe ich, daß man ein makellos weißes Tuch über den Tisch gebreitet hat, auf dem diverse Gegenstände ausgelegt sind: eine mit einer Flüssigkeit gefüllte Silberschüssel, eine weiße Tonpfeife, wie man sie zum Tabakrauchen verwendet, ein Meßkelch, ein goldener Teller, auf dem etwas liegt, das an getrocknete Feigen erinnert, ein sorgfältig gefaltetes Tuch - offenbar Seide oder Samt - und zu guter Letzt ein einfaches Holzkreuz auf einem Goldsockel.
    Ich werde vor diesen Tisch geführt, und meine sechs Initiatoren nehmen mir gegenüber Aufstellung; sie tragen Kapuzen, so daß ich ihre Gesichter nicht sehen kann. Das ist jedoch nicht weiter von Bedeutung, denn ich kenne ihre Stimmen so gut wie meine eigene. Dennoch strahlen die verhüllten Gesichter etwas Beunruhigendes aus.
    »Suchender, streck deine Hände aus.« Pemberton ist es, der mir diesen Befehl erteilt, und ich tue, wie mir geheißen. Er greift nach der Silberschüssel und legt sie mir in die Hand. »Nimm und trink.«
    Ich hebe die Schüssel an die Lippen und nippe an der Flüssigkeit. Sie schmeckt süß und schwach nach Kräutern - wie eine Mischung aus Rosenblättern und Anis -, doch es liegt Kraft in ihr. Ich spüre, wie sie mir in der Kehle brennt. Dann senke ich die Schüssel. Man nimmt sie mir aus der Hand, doch nur um sie mir sofort wieder zu reichen. »Suchender, nimm und trink.«
    Ich trinke ein zweites Mal und spüre, wie meine Kehle und mein Bauch von einer unheimlichen Wärme erfüllt werden. Abermals senke ich die Schüssel, und wieder nimmt man sie mir ab, reicht sie mir wieder und fordert mich auf zu trinken. Die seltsame Wärme erfüllt inzwischen meinen ganzen Körper vom Bauch bis in die Gliedmaßen.
    Nach dem dritten Schluck des berauschenden Tranks wird mir gestattet, die Schüssel abzusetzen, woraufhin man nach dem Holzkreuz greift und es mir entgegenstreckt. »Suchender«, das ist De Car-dou, »ehre das Kreuz.«
    Auf diese Worte hin wird das Kreuz vor mein Gesicht gehoben, damit ich es küssen kann. Dies tue ich auch, und das Kreuz wird wieder zurückgelegt. De Cardou nimmt daraufhin die Tonpfeife und wendet sich ab. Als er sich wieder umdreht, qualmt die Pfeife - allerdings ist alles so schnell geschehen, daß ich nicht weiß, wie er in der kurzen Zeit ein Streichholz oder geschweige denn die Pfeife hat entzünden können. »Suchender, atme den himmlischen Weihrauch ein.«
    Ich stecke das Mundstück der Pfeife zwischen meine Lippen und ziehe daran. Ein wohlduftender Rauch dringt in meinen Mund. Ich stoße ihn wieder aus und nehme einen zweiten Zug des wunderbaren
    Dufts. Nach dem dritten Zug wird mir auch die Pfeife wieder abgenommen und auf den Tisch zurückgelegt.
    Genotti spricht als nächster. »Suchender«, sagt er mit seinem sanftem italienischen A    Ich wähle eines der verschrumpelten braunen Dinger, die auf dem Teller liegen, stecke es in den Mund und kaue. Das Fleisch ist weich, doch ein wenig zäh - es erinnert an Trockenobst -, aber der Geschmack ist intensiv und unangenehm bitter. Die Tränen treten mir in die Augen, und mich überkommt das Verlangen, die fremdartige Substanz auszuspeien. Sie ist derart bitter, das sie förmlich am Gaumen brennt und den gesamten Mund betäubt. Aus meiner Zunge weicht jegliches Gefühl, bis sie schließlich nur noch ein emp-findungs- und nutzloses Stück Fleisch ist, doch gleichzeitig scheint
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